Plattenkrach: Rammstein – Reise, Reise

Rammstein Reise Reise

Eine der erfolgreichsten deutschen Exportschlager sind sie schon lange, mehr als 20 Millionen verkaufte Tonträger weltweit und vermutlich 30 Millionen gezündete Pyroeffekte  – die Rede ist von Rammstein. Eine Band, die einige abgöttig lieben und andere komplett verabscheuen. Eine Gruppe also, über die sich vortrefflich streiten lässt. Hier ist unser nächster Plattenkrach mit Rammstein – „Reise, Reise“ und zwei komplett unterschiedlichen Meinungen!

Melvin sagt:

Wie soll man sich bei seiner absoluten Lieblingsband für ein Lieblingsalbum entscheiden? Für mich war es auf jeden Fall ein langes Hin und Herdenken. Schlussendlich habe ich mich für „Reise, Reise“ entschieden, auch wenn alle Alben von Rammstein für mich absolut herausragend sind. Mittlerweile bin ich seit 12 Jahren großer Rammstein-Fan und auch wenn ich durch immer wieder neue Musik im Postfach und immer wieder interessante Veröffentlichungen in den letzten 2-3 Jahren nicht mehr viele Rammstein-Songs gehört habe, so ist die Berliner Band bis heute die Einzige, wo ich jeden einzelnen Song gut finde. Ohne Ausnahme.

Kommen wir nun aber mal zu „Reise, Reise“. Veröffentlicht am 27. September 2004, eingepackt als Flugkoffer. Bitte nicht öffnen. Habe ich dann aber doch gemacht, nachdem ich das Exemplar damals aus dem nächsten Saturn mit nach Hause geschleppt hatte und was mich dort erwartete, war brachiale Musik mit den richtigen Geschichten, mit der richtigen Optik – ein allumfassendes Gesamtkunstwerk. „Reise, Reise“ startet mit dem gleichnamigen Titeltrack sowie den brachialen Songs „Mein Teil“  – unvergessen die Inszenierung mit dem riesigen Kochtopf während der Völkerball-Tournee – und „Dalai Lama“. Gerade letzteres zeigt Lindemanns Interesse an Lyrik – er hat übrigens auch einen eigenen Gedichtsband veröffentlicht – handelt es sich doch um eine moderne Version des bekannten „Erlkönigs“ von Johann Wolfgang von Goethe.

Weiter geht es mit „Keine Lust“ und „Los“, zwei Songs, die ebenfalls eine Stärke von Rammstein offenbaren: Die deutsche Sprache ist eben doch nicht so ausdruckslos und beschränkt im Gegensatz zum Englischen – denn man kann auch mit wenigen Worten, ja sogar, wenn man immer wieder das Gleiche oder Ähnliches wiederholt, Emotionen ausdrücken.

Spätestens im zweiten Teil der Platte zeigt sich dann die ganze Vielschichtigkeit von Rammstein-Produktionen. Die Berliner Band muss sich ja das eine oder andere Mal gefallen lassen, dass ihre Musik sehr stumpf sei. Musikalisch gibt es mit Sicherheit kompliziertes für die Gitarre oder das Schlagzeugspiel, aber die Gesamtinszenierung bleibt bis heute einzigartig, in Bild und Ton, und die eben erst angesprochene Vielschichtigkeit macht für mich auch die musikalische Komponente extrem interessant. So klingen besonders „Amerika“ und „Moskau“ ganz eigen und durch den Gesang in unterschiedlichen Sprachen auch nicht wie jeder andere Rammstein-Song. Gerade „Amerika“ kann man übrigens im Trump-Zeitalter nochmal hören und sich so seine Gedanken dazu machen. „Morgenstern“ ist der vielleicht härteste Song, den es von Rammstein gibt, mit „Stein um Stein“, „Ohne dich“ und „Amour“ wird es dann wie gewohnt zum Ende des Album etwas ruhiger. Lindemann singt hier jedoch wieder zahlreiche Zeilen über die man intensiv und lange nachdenken kann. Musik, die einen lange beschäftigen kann, in die man viel hineininterpretieren kann, das gefällt mir sehr gut.

Schaut man sich neben der Musik dann auch noch die Aufmachung des Albums, die überragenden Musikvideos von „Amerika“ und „Keine Lust“ an, dann wird schnell klar: „Reise, Reise“ ist ein erklassiges Album von einer überragenden Band.

Und Julias Meinung dazu:

Rammstein bedeutet für mich: Einer der größten deutschen Export-Acts. Pyro. Schock-Videos. Industrial. Metal. Till Lindemann.

Obwohl Industrial und Metal zu meinen liebsten Genre gehören, konnte ich bisher noch nie viel mit Rammstein anfangen. Die Faszination für diese Band ist natürlich nachvollziehbar – größer und böser geht es kaum. Songs wie „Engel“, „Amerika“ oder „Sonne“ kennt vermutlich jeder Mensch, da hört es bei mir aber auch schon auf. Ein ganzes Album hatte ich von der Band noch nie angehört und das werde ich nach diesem Durchgang von „Reise, Reise“ wahrscheinlich auch nicht mehr.

Erstmal so viel: das Cover von „Reise, Reise“ habe ich tatsächlich noch nicht häufig gesehen, die meisten zählen wohl eher „Mutter“ als bestes Album der Band. Ich stürze mich in die Schlacht und hoffe auf möglichst viele Riffs und möglichst wenig Gesang – denn genau hier liegt für mich das Problem. Klar, die Provokation ist gewollt. Aber Lindemann klingt für mich durchgehend so stark nach Militärsoffizier, dass ich mich nicht ganz auf das Ganze einlassen kann. Wenn ich mir selbst einrede, dass dies gewollt ist, gelingt zwar eine Distanzierung, dann kommt mir die Musik allerdings wiederum wie Satire vor. Und diesen Eindruck bestätigen die meisten Songs ebenfalls. Das Intro „Reise, Reise“ macht gleich einen auf ganz böse und gruselig, Lindemann klingt hier für mich eher wie Heino mit ein paar Rock-Gitarren im Hintergrund. Ein paar Geigen pirschen sich nach vorne. Irgendwie hatte ich mir Rammstein-Aben härter vorgestellt. In „Mein Teil“ geht es dann schon mehr zur Sache, Lindemann versucht irgendetwas Komisches mit seiner Stimme, textlich geht es um Kannibalismus. Danach also „Dalai Lama“, der bisherige Gipfel meiner Unverständnis – das ist ein dermaßen kitschiger Song mit merkwürdigen „Einer von uns“-Stimmen und einem Flugzeug-Teufel-Thema, das mich überhaupt nicht abholt. Klingt nach Meat Loaf-Material im Industrial-Gewand. Und das verwirrt mich im nicht positiven Sinne. Ab da geht es aber endlich aufwärts. „Keine Lust“ bietet durchweg wunderbare Metal-Riffs, textlich geht’s ums Ornaniern (ich glaub ich geb’s auf, auf die Texte zu achten) und der Song geht ohne komische Experimente zuende. Es folgt mein bisher liebster Rammstein-Song: „Los“, die Wortwitze sind gelungen und mal nicht komplett überzogen, die Akkorde sind eher Rock als Metal, es geht also auch ohne viel Schnickschnack! „Amerika“ kennt man, funktioniert großflächiger und Radio tauglicher als der Rest. Und ja, dem Text kann ich sogar ausnahmsweise etwas abgewinnen. „Moskau“ mit einer merkwürdigen Frauenstimme und „Ohne dich“ als vermeintliche Ballade holen mich dann leider eher gar nicht ab.

Rammstein sind für mich zumindest auf diesem Album wie eine merkwürdige Mischung aus Tenacious D und Marilyn Manson. Musikalisch geht das über die meiste Zeit in Ordnung, auch wenn mich da „Engel“ oder „Sonne“ noch mehr überzeugt hatten. Aber alleine diese durchweg auf Provokation ausgelegte Musik kann zwar unterhalten, sie jedoch auch in der Freizeit zu hören, scheint mir fremd. Im Gegensatz zu vielen anderen großen Acts kann ich die Begeisterung jedoch halbwegs nachvollziehen. Keine zweite Band klingt wie Rammstein – und es ist gut, dass es sie gibt. Hören werde ich sie wohl dennoch nie.

Das Album“Reise, Reise“ kannst du dir hier kaufen.*

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