Wie ich mit AnnenMayKantereit in einem Zoom-Meeting landete und was ich über „12“ erfahren durfte

Zoom-Pressekonferenz: AnnenMaxKantereit über ihr Album "12".

Regulär meide ich den subjektiven Erzählstil. Mir persönlich gefällt es wenig, das Pronomen „ich“ und seine Abwandlungen in Texten zu verwenden. Ist aber natürlich Geschmacksache. Heute gibt es jedoch einen Anlass, für den die Ich-Form unentbehrlich ist. Ich möchte euch, unseren Leser*innen, von einem Zoom-Meeting am Freitagmittag, dem 20.11.2020 berichten und euch mal exklusive Einblicke in unser Arbeiten bei minutenmusik zeigen.

Ihr seid aufmerksam – somit habt ihr mit Sicherheit bestimmt schon unsere Review zum gerade erschienenen dritten Album von AnnenMayKantereit gelesen. 12 kam letzten Dienstag lediglich mit einer kleinen Vorankündigung 30 Minuten vor der Veröffentlichung auf den Social Medias der Band heraus und war eine große Überraschung für die Fans. Mein wunderbarer Kollege Jonas und ich durften schon einige Stunden vorher in den Genuss kommen, die neuen Songs zu hören. Ganz fleißig lief der Longplayer bei uns in Dauerschleife. Wir lasen alle Infos, die an Journalist*innen dazu vorher zur Verfügung gestellt wurden, um euch pünktlich um Mitternacht zum offiziellen Releasetermin gleich unsere differenzierten Meinungen um die Ohren hauen zu können. Jonas blieb sogar extra bis dahin wach, um schnell unsere Texte online zu stellen.

Uns wurde von dem zuverlässigen und ambitionierten Promoter von AnnenMayKantereit das Angebot gemacht, eventuell an einer Pressekonferenz teilnehmen zu können. Jonas bekam bereits im November 2019 die Gelegenheit mit AnnenMayKantereit ein Interview zu führen und war sofort heiß darauf, das mit neuen Fragen wiederholen zu dürfen. Letztendlich landete die leicht andere Möglichkeit zur Pressekonferenz dann aber doch bei mir. Der Promoter lud mich zu einer Online-Sitzung bei Zoom ein, die glücklicherweise auf einen Freitag um 13 Uhr fiel, an dem ich auch noch Zeit hatte. Geil?! Definitiv.

So freute ich mich an dem erwähnten Freitagmorgen über elektronische Post, in der die Zugangsdaten zum Meeting zu finden waren und stellte mich seelisch darauf ein, bei einer Konferenz dabei zu sein, in der viele wichtige Journalist*innen die drei Jungs löchern werden und ich von minutenmusik lausche und hoffentlich auch das eine oder andere neue Backgroundwissen mitnehmen darf. Doch wenn man eins lernt in diesem Job, dann ist das: Sei auf alles gefasst! Oder auch auf gar nichts, je nachdem, wie man es formulieren möchte. Selten läuft etwas so ab, wie man sich das vorher im Kopf vorstellt. Spontanität is the word!

Die war dann auch hier gefragt. 20 Minuten vor dem angepeilten Termin bekam ich eine weitere Mail, mit kurzen Do’s und Dont’s. Immer gut zu wissen. Da ich davon ausging, dass ich Zuschauer sein werde, hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt exakt nichts vorbereitet. Ja, nichts nichts. Gut, ich habe das Album mehrfach gehört und kenne Gott sei Dank auch die vorigen Sachen. Aber was passiert denn gleich? Kurze Rücksprache mit Jonas, die aber auch nur bedingt half und eher beschämtes Gelächter und Schweißausbrüche auslöste.

Kurz vor Eins war ich schließlich im Meeting am Start. Kamera und Mikrofon vorsichtshalber erstmal auf stumm. Gucken, was die anderen so tun. Alle hatten die Kamera an. Alright, von mir aus. Soundaufnahme auf meinem iPhone läuft, um später was nachzuhören und zusammenzuschreiben. Ich war dennoch direkt irritiert, über die überschaubare Teilnehmeranzahl im Meeting. Wo ist denn der Rest? Kommt wohl noch. Völlig selbstverständlich trudelten Severin, Christopher und schließlich, mit keinen fünf Minuten Verspätung, auch Henning aus der Band ein. Alle drei in äußerst entspannter, ungestylter Haltung auf der Couch zuhause. So, als ob man sich grade mit Freund*innen zum Online-Corona-Schnack trifft. Dann eröffnete der Promoter die Sitzung und ich stellte mit Erschrecken fest: wir sind insgesamt 13 Leute. Drei Bandmitglieder, ein Promoter und neun Journalist*innen diverser Blogs aus Deutschland, die nun reihum Fragen stellen müssen, ähm, ich meine dürfen. Und ich mittendrin. Ohne irgendwas. Auf der allerersten Pressekonferenz der Band ever, wie AnnenMayKantereit witzelten. Oh fuck.

Natürlich hätte ich nun charmant lächeln und sagen können „Hey, sorry! Ich hatte das hier voll falsch verstanden und dachte, sämtliche großen Zeitungen, TV- und Radiosender sind jetzt am Start und ich verbleibe im Hintergrund. Hab jetzt nix vorbereitet, hihi“, aber wie peinlich wäre das bitte gewesen? Der Promoter moderierte also die bunte Talkrunde und sagte, er gehe nun so vor, wie ihm die Leute angezeigt werden. Ich sah meine Cam auf meinem Bildschirm direkt neben ihm. Doch ganz Gentleman-like überließ der Promoter zunächst den Frauen den Vortritt, die in der Überzahl waren – und ich hatte fast eine halbe Stunde Zeit, mir doch noch schnell was aufzukritzeln. Atmen!

Zugegeben: die ersten zehn Minuten vom Meeting habe ich weder zugehört noch sonst wie mitbekommen. Stattdessen tauschte ich mit Jonas Whatsapps aus und hoffte, dass meine Billo-Fragen nicht schon direkt nach drei Minuten beantwortet werden und ich noch was in petto habe. Als dann aber Severin, Christopher und Henning mit totaler Gelassenheit, gleichzeitig aber äußerst viel Motivation, Interesse und Wertschätzung auf die Fragen meiner Vorgänger*innen antworteten, wurde ich einerseits schnell entspannter und andererseits auch kreativ. Schnell fand ich in das Feeling, wusste also, worum es AnnenMayKantereit bei ihrem neuen Album geht und konnte meine Notizen verfeinern.

Um das hier etwas abzukürzen: letztendlich durfte sowohl ich als auch der Rest der Gruppe je zwei bis drei Sachen erfragen, die alle ausführlich und informativ beantwortet wurden. Zwischendrin hat man gelacht, sich auch das eine oder andere Mal in Meinungen wiedererkannt und zustimmend genickt und einfach das Gefühl gehabt, das sei gerade die normalste Situation der Welt. Ich kann euch sagen – sehr viele Interviews fühlen sich so nicht an. Natürlich existieren genug Künstler*innen, zu denen man sofort einen guten Drive hat und bei denen man nicht gemustert wird wie auf dem heißen Stuhl oder spürt, man ist eher ein unerwünschter Gast. Vorkommen kann es aber. Das war hier absolut nicht der Fall. Der Promoter schenkte jede*r genügend Raum, alle wollten gute und keinesfalls langweilige Sachen wissen und AnnenMayKantereit sind einfach super nette Typen. Solche Faktoren führen dann dazu, dass ein einstündiger Call nur so an einem vorbeifliegt und wahnsinnig schnell vergeht. Punkt 14 Uhr wurde das Meeting beendet.

Einige Stunden später sind AnnenMayKantereit bei Jan Böhmermann in seiner Show ZDF Magazin Royale zu Gast und zocken. Mittags war ich noch mit ihnen in einem Zoom-Raum und habe meine ungewollte Unvorbereitung mit Improvisation überspielt. Eine sehr schräge, aber auch ziemlich coole und lustige Erfahrung, die mit Sicherheit eine neue, gern erzählte Anekdote für Weinabende unter Freund*innen von mir wird. Also im nächsten Jahr dann.

Solltet ihr noch nicht beim Lesen eingeschlafen sein und Bock auf Insiderinfos haben, habe ich euch nun noch die spannendsten und wichtigsten Fakten über das neue Album 12 und die aktuelle Situation bei AnnenMayKantereit zusammengefasst. Die Reihenfolge hier habe ich nach dynamischen und thematischen Kriterien selbst ausgesucht und ist so im Meeting nicht gewesen. Ebenfalls habe ich mich teilweise gegen die wörtliche Rede entschieden, da das verschriftlichte Interview sonst entschieden zu lang wird und es eben auch nicht ausschließlich meine Fragen sind. Viel Spaß beim Lesen!

Wie ist das Album 12 entstanden, was war anders als sonst, wie waren die Umstände?

Christopher beschreibt das Gefühl, von der Tour, die Mitte März endete, zurückgekommen zu sein und dann zu wissen, dass es eventuell das letzte Konzert für dieses Jahr war, als einen kurzen Schockzustand. „Uns war klar, dass wir die Zeit damit verbringen wollten, neue Musik zu schreiben“. Severin, Christopher und Henning haben sich daraufhin während des Lockdowns von zuhause aus über Whatsapp und andere Medien Ideen hin- und hergeschickt und „so angefangen ein Album zu basteln“, wie Severin es beschreibt. Das Songwriting startete unmittelbar nach den letzten Gigs. Geplant, dass dabei final ein Album herumkommt, war das jedoch nicht, so Christopher. So wurde bei einzelnen Songs auch nicht detailliert darauf geachtet, ob man sie so lassen könne oder nicht. In einem gemeinsamen Raum wurde sich erst getroffen, als vieles an Material schon fertig war. „Wir wären ohne Pandemie nie auf die Idee gekommen, Musik so aufzunehmen“, sagt Henning. Ansonsten hätte einer was vorgespielt, das hätte man dann diskutiert und wäre so Schritt für Schritt vorangekommen. Stattdessen „macht Chrisi nun ‘nen Beat, Sevi hört den, legt den nochmal neu auf und nachts um 1 kommt eine Mail mit ‘nem Beat, der fast ein fertiges Ding ist“, so Henning. Ein überraschendes, freies Arbeiten für jeden Beteiligten und auch ein neu entdeckter Vorteil, dass man von überall arbeiten kann, auch ortsunabhängig und ohne die anderen, allein für sich. Nur so können innerhalb von 24 Stunden Songs von 0% zu 100% entstehen, wie es bei „Zukunft“ der Fall ist, berichtet Henning.

Warum heißt die Platte überhaupt 12?

Jeder EP- bzw. Albumname der Band ist bisher den Lyrics eines Songs der jeweiligen Platte entnommen. So auch 12, eine Zahl, die dem „Intro“ entspringt. Die Entscheidung dazu fiel nach dem ersten Durchhören der Songs, als beschlossen wurde, es handele sich um ein Album, erzählt die Band einstimmig.

Ist der etwas andere, demoartige Sound nur Corona geschuldet oder war das sowieso so geplant?

„Wir hatten eigentlich vor, ein anderes Album zu machen“, überrascht Henning. Er erwähnt Songs wie „Ausgehen“, „Ozean“ und „Tommi“, die alle für sich stehen – etwas, was der Band sehr gut gefalle. „Der Democharakter war eine Kunstentscheidung. Man hätte auch in der Vorproduktion die Songs so weiter glattbügeln können, dass man nicht mehr gehört hatte, wie sie in einem Moment entstanden sind.“ Severin und Christopher haben sich aber Skills angeeignet, um vieles selbst vorproduzieren zu können, sodass die Entscheidung, alles so zu belassen, überhaupt erst getroffen werden konnte. „Man war in dem limitiert, was man zuhause zur Verfügung hatte“, was man dann wiederum möglichst für sich genutzt habe, erzählt Christopher, so war es eben „sehr nah an uns, an unsere Zeit“.

Fühlt man sich als Band trotz der räumlichen Trennung nach diesem Experiment nun enger beisammen?

Es sei vorher schon äußerst eng gewesen, habe aber keinen Abbruch getan, so Christopher. Er habe nun aber einen weiteren Aspekt dazu gewonnen, nämlich das schöne und sichere Gefühl, Leute um sich zu haben, mit denen man so vertraut arbeiten kann – etwas, was man beim alleinigen Arbeiten erst richtig zu schätzen lernt, wie Christopher weitererzählt. Die gegenseitige Motivation sei ein wichtiger Teil der Arbeit, sagt Henning. „Mensch, ist das gut, dass keiner von uns sowas alleine durchzieht – wie anstrengend wäre das alleine?!“, lobt er den Zusammenhalt und kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass er ohne die Zwei so stark eigenentwickelte Pushs hätte, um immer weiterzumachen. „Selbst wenn man uns drei einsperrt, aber uns wenigstens die Möglichkeit lässt, uns digital zu unterhalten, dann kriegen wir trotzdem etwas hin, was uns dreien gefällt und brauchen dafür nicht zwingend andere Menschen“, eine Erkenntnis die Henning sehr guttue. Mit der Arbeit habe man aber des Weiteren einerseits intensiver über Corona nachgedacht, gleichzeitig aber auch vieles drumherum mal vergessen können.

Wie beschreiben AnnenMayKantereit selbst ihre neue LP?

Henning sagt, dass sie auf 12 für die Hörer*innen viele Angebote machen. Damit meint er, dass man damit Situationen aus dem laufenden Jahr nochmal anders betrachten könne. „Wir haben probiert viele Momente und Gefühle einzufangen“, beschreibt er. Angst und Verzweiflung sollen Platz finden, um den Hörer*innen zu zeigen, dass auch andere sich während Corona so fühlen. „Jeder soll herausziehen, was er oder sie herausziehen mag“, ergänzt Christopher, „wir freuen uns aber, wenn man das Album von vorne bis hinten am Stück hört“. Ein Aspekt, der im Laufe des Meetings mehrfach erwähnt wird. Christopher findet es „schön, sich einfach mal eine halbe oder dreiviertel Stunde mit einem Album zu beschäftigen“ und beschreibt es sogar als meditativ. „Hör das ganz!“, wie Henning sagt. Der Aufbau und die Reihenfolge der Songs haben also einen durchdachten Sinn und sind keine zufällige Anordnung. Deswegen gab es vorab auch keine Singles als Promo bzw. Vorgeschmack, da es eben nicht den einen Track gebe, der solo betrachtet werden solle, sondern es um einen kompletten Durchlauf gehe, sagt die Band einstimmig. Henning spricht sogar von „Interdependenzen“, da das Reflektieren über Corona wechseln könne und es mehrere Facetten gebe, die in einem einzelnen Song nicht alle Themen gezeigt werden können. Jede*r soll für sich entscheiden, welchen Song sie/er besonders mag und zu welchem sie/er eine Verbindung aufbauen kann. Trotzdem haben die Drei eigene Lieblingssongs, Christopher z.B. „Das Gefühl“ und Henning „Zukunft“ und witzigerweise das „Interlude“, da er selbst nicht singe und es trotzdem auch instrumental so viel für ihn transportiere. Severin liebt „Warte auf mich (Padaschdi)“, das im Gegenteil zu „Zukunft“ sehr oft überarbeitet wurde, was er aber dafür äußerst interessant und kreativ fand.

Wie fühlen sich Severin, Christopher und Henning überhaupt mit der aktuellen Corona-Lage?

Dass man überhaupt noch einen Job habe, sei das Wichtigste, so Christopher. „Wir haben alle durch Corona nochmal gemerkt, wie krass Politik auch unser reales Leben mitsteuert“, da man ständig auf Ansagen der Regierung warte, so Henning. Daraus resultieren auch Veranstaltungsabsagen, unter denen die Band natürlich mitleidet. Etwas, was vorher häufig gar nicht so bewusst in den Köpfen war. Mit neuen Gigs sind AnnenMayKantereit vorsichtig, da sie lieber einmal „was Schönes, Größeres“ unter erlaubten Auflagen machen wollen, wie ein Picknickkonzert oder eine gute Onlinesession, als mehrere kleine Sachen, die aber ihren Anforderungen an den Sound nicht genügen. Obwohl jede Generation vor uns wahrscheinlich Zukunftsängste hatte, hat Henning gegenwärtig eine leichte Endzeitstimmung: „8 Milliarden Menschen und eine Pandemie und Klimawandel und Diktatoren, die Bock auf Krieg haben und Donald Trump und die AfD – man sollte die Einzigartigkeit der Zeit sehen, […] das empfinde ich als sehr bedrohend, […] wenn das so weitergeht, wird das wirklich ganz, ganz schlimm“. Der Kampf ums Ganze sei eventuell noch nie so groß gewesen. Gegen den Klimawandel werde zu wenig getan, so auch Christopher. Außerdem macht man sich natürlich Sorgen um Künstlerkolleg*innen. Die Band findet es schade, „wie viele Lieder nun nicht geschrieben“ oder „nicht gesungen werden können“, weil Künstler*innen ihren Job nicht mehr ausführen können und dadurch zwar „das kleine Wir wie Familien stärker wird“, wie Henning es nennt, man aber andererseits immer weniger Fremde treffe und kennenlerne, wodurch der Bezug zur Fremde und Ferne verloren gehe. „Was das mit einer Gesellschaft macht, wird man erst irgendwann sehen“. Genauso verhält es sich mit den Aufführungsorten: „Eine alte Jazzkneipe stirbt nur einmal“, zitiert Christopher seinen Bandkollegen Henning – wenn solche Orte dafür teuren Wohngebieten weichen müssen, mache das aber eine Stadt auf Dauer weniger lebenswert.

Dem stimme ich zu. Danke, dass ich dabei war!

Mehr AnnenMayKantereit gibt es hier.

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Und so hört sich das an:

Website / Facebook / Instagram

Screenshot von Christopher.

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