Jahr für Jahr blicken Redakteure in ihren Jahresrückblicken melancholisch auf die vergangenen 365 Tage zurück, schwelgen nostalgisch in Erinnerungen und sind bedrückt, dass sich das Jahr allmählich dem Ende neigt. Gewappnet mit den alljährlichen Vorsätzen, die nach einem zumeist komatösen, verkaterten 1. Januar erst ab dem Dreikönigstag begonnen und spätestens Anfang Februar wieder gänzlich über den Haufen geworfen werden, startet man in das neue Jahr und versucht vergeblich, seine Dokumente mit dem nun richtigen Datum zu versehen. Doch in diesem Jahr gab es für mich, wenn man ehrlich ist, nur wenige musikalische Überraschungen. Vor allem die Deutschrap-/Hip-Hop-Sparte ließ kaum Raum für innovative, beeindruckende Veröffentlichungen. In Zeiten, in denen Bonez MC, Maxwell und RAF Camora mit Diamant-Verkaufszahlen glänzen und – ja, man liest es von fachunkundigen Stimmen immer wieder – mit „Was du Liebe nennst“-Sternchen Bausa als „beste Rapper Deutschlands“ gelten, dominierten aus musikalischer Sicht erneut vor allem Reggaeton- und Dancehall-Beats gepaart mit Autotune-Hooks.
Spätestens seit diesem Jahr ist klar, Deutschrap ist längst keine Nische mehr, sondern vielfältig und im Mainstream angekommen. Alleine die Veröffentlichungen von Capital Bra, der binnen sieben Wochen gleich drei Nummer eins Hits chartete und somit sogar die Beatles vom unangefochtenen Rekord-Thron stieß, sorgten für großes Aufsehen. Einen weiteren Meilenstein in der Deutschrap-Geschichte legten Bonez MC und RAF Carmora mit der Veröffentlichung von „Palmen aus Plastik 2“: Gleich in der ersten Release-Woche des Albums waren die ersten drei Chartplätze – so etwas gab es zuvor noch nie – an die Tracks „Nummer unterdrückt“, „500 PS“ und „Kokain“ vergeben. Und dem nicht genug: Ganze 8 von 10 Tracks aus den TOP 10 entstammten „PaP 2“. Aber auch sämtliche andere Deutschrap-Veröffentlichungen kletterten in die Top 10 und hielten sich dort teilweise über Wochen.
Auch in puncto „Frauen im Rap“ hat sich im Jahr 2018 eine Menge getan: Mit Juju und Nura von SXTN, die im November zwar ihre Trennung bekanntgegeben haben, aber im kommenden Jahr zumindest als Solo-Künstlerinnen durchstarten wollen, Haiyti, Loredana, Antifuchs, Lumaraa, Eunique, Schwesta Ewa und Sookee waren in diesem Jahr gefühlt noch nie so viele Frauen in den Charts vertreten und wurden in Rezensionen gelobt wie zuvor. Nur Kollegah erkannte mit der – sonst in Zügen recht durchsichtigen und motivierenden – Veröffentlichung seines Bestsellers „Das ist Alpha: Die 10 Bossgebote“ noch nicht, dass er mit seinem Frauenbild so geschmacklos und hinterher ist wie seine mit Pelz-bedeckten Steinzeit-Posen im Trailer zum Buch. Doch immerhin brachte seine Männer-Bibel par excellence zumindest einige Jugendliche dazu, sich mal wieder einem Buch zu widmen, sodass sich auch das im riva-Verlag veröffentlichte Werk einige Wochen auf Platz 1 der Belletristik-Buchcharts hielt.
Ehe ich im Folgenden aber nun weiter aushole und versuche, in meinen Erinnerungen zu kramen, was mich in diesem Jahr sonst noch alles überrascht, aufgewühlt, traurig gestimmt oder amüsiert hat, habe ich es mir nicht nehmen lassen, einige besonders prägende Momente des Jahres zusammenzufassen und aufzulisten. Ich bin mir sicher, dass mein Erbsenhirn sich an viele Dinge, Songs, Videos oder Momente nicht mehr erinnern möchte und einiges vergessen hat. Aber einige Dinge sind mir nur zu gut im Kopf geblieben …
Die stärksten Songs
- Alligatoah – Wie Zuhause
- Fruchtmax, Nura – Wenn ich will
- KitschKrieg, Trettmann, Gzuz, Gringo, Ufo 361 – Standard
- Panic! At The Disco – High Hopes
- Teesy – Wesley
- Teesy – Usain Bolt
- Face – VAY VAY VAY
- AnnenMayKantereit – Marie
- Veysel, Gzuz – Uff
- Tua – Vorstadt
- Mo-Torres – All die Leeder
- Olexesh – Project X
- Mauli – Licht
- Drunken Masters feat. Nimo – Komm Teste
- Marteria & Casper – Adrenalin
- Yassin – Haare grau
… uvm.
Das stärkste Album
Teesy – Tones
Das stärkste Mixtape
Flexis – Kaufhaus Jandorf
Das beste Konzert
BRKN – Club Volta (Köln) sowie das K.I.Z.-Frauenkonzert im E-Werk (Köln)
Die beste Stimmung
Feine Sahne Fischfilet: Egal wann, egal wo, immer!
Das beste Festival
… war in diesem Jahr das grandiose Happiness-Festival in Straubenhardt, über das ich mit der wunderbaren Yvonne berichten durfte.
Das verstörendste Interview
Der größte Flop
Das Kollabo-Album „Mohamed Ali“ von Mo-Trip und Ali As.
Das beste Hörbuch
Visa Vie – Das Allerletzte Interview
Der überbewerteste Song
Drake – In My Feelings
Die schlechteste Live-Performance
… kann in diesem Jahr erneut RIN zugesprochen werden, der wohl einfach niemals begreifen wird, wie man einen Ton trifft oder zumindest ein Autotune-fähiges Mikrofon steuert. (Sorry, Luis.)
Der verstörendste Song / Video
https://www.youtube.com/watch?v=ZJCygEHQzSk
Das beste Comeback
Dendemann!
Das gab es deutlich mehr als zuvor
Wisst ihr, worauf ich hinaus will? Na klar! Ami-Rap-Features, z. B. von 6ix9ine (Farid Bang & Capo sowie Gringo44), Rick Ross (Fler), Quavo von Migos (Ufo361).
Der Was-zur-Hölle-soll-das-Song
Kanye West – Lift yourself („Poopy-di scoop / Scoop-diddy-whoop“)
Das beste kölsche Party-Lied
Brings, Dennis aus Hürth – Et jeilste Land
Die besten Malle-Hits (und ja, auch solche Songs hört ein Jeder von uns ab und an auch!)
- Lorenz Büffel, DJ Eisbär – Beate
- Sabbotage, Deejay Biene – Wir versaufen unser Geld
- Almklausi, Specktakel – Mama Laudaaa
Die imposantesten Ausraster
… kamen in diesem Jahr wohl allesamt von GZUZ. Man erinnere sich sowohl an Szenen aus einem Schwimmbad sowie die Prügel-Attacke gegen einen wehrlosen Schwan. Sehr geschmacklos, leider.
Der unsinnigste Skandal
… war jener um die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Kollegah und Farid Bang der Echo-Verleihung im April 2018, der schließlich dazu führte, dass der Musikpreis abgeschafft wurde. Ach Campino …
Die traurigsten Meldungen
… waren wohl die Benachrichtigungen über den Tod von Sam Wieland sowie von Mac Miller. Mögen sie da Oben – gemeinsam mit dem viel zu früh verstorbenen Avicii – weiter fröhlich jammen.
Die herzzerbrechensten Songs
… handelten beide zufälligerweise von ihren verstorbenen Vätern und haben mich beide sehr gerührt.
- Tua – Vater
- Flexis – H. S.
Der beste Musik-Film
Ganz klar: Bohemian Rhapsody. Freddie, du bist und du bleibst ein gottverdammter König!
Und zu guter Letzt: Mein größter Girl-Crush
Larissa Rieß! Und das auf allen Ebenen: Als Moderatorin, DJane, Musikerin und Instagram-Unterhalterin – grandios.
Ich könnte diesen Rückblick wohl noch stundenlang fortführen. Und vielleicht wird sich der vorliegende Rückblick in den kommenden Tagen noch nach und nach erweitern. Aber alles nimmt einmal ein Ende – wie dieser Artikel und dieses Jahr. Obwohl 2018 aus meiner und vor allem aus Rap-technischer Sicht nur wenige bahnbrechende, kluge, einem vom Hocker reißende Werke zum Vorschein gebracht hat, gab es auch viele musikalische Sternstunden und Entwicklungen. Dennoch habe ich große Hoffnungen auf das kommende Jahr. So wünsche ich mir weniger Dancehall, weniger Autotune, mehr Bass, mehr Beat, mehr Message und Skills. Also, liebes Jahr 2019: Ich bin bereit!
Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr 2019!
Eure Anna
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