Richtig viel Alarm: Im Hause Jessica Ellen Cornish standen 2018 nur fette Sachen auf der Agenda. Die Britin, die wohl eher unter ihrem Künstlernamen Jessie J bekannt ist, hat im Mai ihr viertes Studioalbum „R.O.S.E.“ auf den Markt gebracht, was uns außerordentlich gut gefallen hat (Lest HIER nochmal unsere Review), dann im Oktober noch ein Weihnachtsalbum mit dem Titel „This Christmas Day“ hinterher, das uns wenig bis gar nicht gefiel (Lest HIER unsere Review dazu) und dazwischen mal eben knapp 50 Konzerte gegeben. Den Tourabschluss gab es nun überraschenderweise nicht in ihrer Heimat UK sondern im Palladium in Köln vor knapp 4000 Leuten. Ausverkauft war die Hütte nicht, aber viel Platz war auch nicht mehr.
Wie es sich für ein Popkonzert mit eher jungem Publikum gehört, ist die Schlange vor der Tür bereits zum Einlass schier endlos. Anscheinend will jeder das Talent aus nächster Nähe sehen. minutenmusik macht es sich somit vorne links am Rand bequem. Um Punkt 20h betritt der Support die Bühne. Die Anreise war gar nicht so lang – Naaz ist 20, kommt aus dem geografisch nächsten Nachbarland, der Niederlande, und macht laut eigenen Angaben „Kanye West inspirierte Musik“. Naja. Das ist schon sehr weit hergeholt. Der Sound klingt eher nach sehr sterilem, langweiligen Pop-R’n’B ohne viel Essenz. Das Mädel hüpft ein wenig hin und her, wäre optisch wohl gerne Lorde und wirkt irgendwie ein wenig übereifrig. Ok, der Nächste bitte.
Stattdessen scheint das überwiegend weibliche Publikum, das sich wohl größtenteils zwischen Anfang und Mitte 20 einpendelt, schon in guter Stimmung zu sein. Es wird laut geklatscht und gekreischt, bevor was passiert. Anscheinend bewegen sich unter dem Publikum auch einige Zuschauer, die seltener Konzerte besuchen – einige filmen mit ihren Smartphones sogar den Soundcheck, der in der Umbauphase passiert. Ein eher unbeabsichtigter lustiger Moment für die Leute drumherum.
Doch dann ist das Warten vorbei. Um 20:57 und somit leicht überpünktlich beginnt die vierköpfige Band der Engländerin zu zocken – vier Leute, die’s alle unglaublich draufhaben. Ganz besonders auffallend sind die rockigen (ja, wirklich rockigen) Gitarrensoli und künstlerisch äußerst wertvollen Drumparts, obwohl der Herr am Schlagzeug laut Jessie persönlich zum ersten Mal mit ihr ein Konzert spielt. Wahnsinn.
Jessie J singt bereits zum wiederholten Male in Köln und gehört mit ihren 30 Jahren mittlerweile zu den Vollprofis. Was eine Stimme alles so hergeben kann, wenn man schon als Kind Gesangsunterricht erhält und dazu das nötige Talent mitbringt, wird in den 110 Minuten Show mehrmals deutlich. Es ist kaum zählbar, wie häufig Jessie J in einem Song, teilweise sogar in einem Refrain, den Stil wechselt – Sprechgesang, Scat, Kopfstimme, Belting, Tiefen! Einfach alles. In Sekundenschnelle. Atemberaubend. Gesanglich ballern einem hier Töne um den Kopf, die man selten oder sogar nie so auf Konzerten hören kann. Alle anderen Popsängerinnen dürfen jetzt einpacken! Ciao-Kakao.
Wie bereits auf dem Album sind nun auch bei der Show vier Segmente vorzufinden – Realisations, Obsessions, Sex und Empowerment, eben R.O.S.E.! Zu jedem Block trägt sie ein eigenes Kostüm. Mit 21 Tracks ist die Setlist entschieden länger als die eher 80minuten langen Shows, die man sonst von der Künstlerin kennt. Zwar werden einige Titel wie „Flashlight“, „Thunder“, „Dopamine“ oder „Real Deal“ nur angespielt – wirklich traurig braucht man aber nicht sein. Stattdessen singt sich Jessie J die Seele aus dem Leib, tanzt ungebändigt, wirft sich auf den Boden, wirkt sexy, gibt jedem Musiker mehrere Minuten Soli, plaudert aus dem Nähkästchen, geht aufs Publikum ein und wirkt wie eine außerordentlich sympathische Diva. Ihr britischer Humor lockert viele Momente auf, sodass die anfänglichen Technikprobleme auch schnell in Vergessenheit geraten.
Highlights gibt es viele: sowohl die Rockversion von ihrem ersten Hit „Do It Like A Dude“ als auch Funkeinlagen mit dem Publikum bei „Play“ sorgen für aufgeheizte Stimmung. Bei ihrer Toleranzhymne „Who You Are“ fließt das ein oder andere Tränchen und bei Black Music-Tracks wie „Real Deal“ oder „Think About That“ zeigt sie, dass man als 1+-Sängerin auch durchaus Rappen kann. Das sehr deepe „Queen“ bekommt live plötzlich unglaublich viel Qualität. Dass das Publikum textsicher ist, zeigt unter anderem einer ihrer Radiosongs „Masterpiece“ (seht HIER einen kurzen Ausschnitt auf unserer Instagram-Seite). Zur Eskalation führen natürlich die All Time-Favorites „Bang Bang“, „Price Tag“ und die Zugabe „Domino“, die mit Konfettiregen noch verschönert wird. Fans im Publikum wünschen sich vom Erstwerk „Mamma Knows Best“ – der ist zwar so spontan nicht drin, wird aber beim nächsten Mal nachgereicht, verspricht sie. Leider ist der Wunsch mit etwas negativem Beigeschmack verbunden. Zu viele Leute im Publikum kennen nur die großen Hits aus ihren Anfangszeiten und haben sich mit dem aktuellen Album, zu dem die Tour stattfindet, wenig befasst. Äußerst schade, da gerade dies musikalisch bisher ihren Höhepunkt darstellt.
Jessie J braucht keine Videoleinwand, Jessie J braucht keine Backgroundsängerinnen, Jessie J braucht keine großen Requisiten – stattdessen singt sie einfach alles live, sprudelt über vor Energie, hat immer was zu sagen, wirkt nie aufgesetzt nett sondern sehr straight. Es kann nicht oft genug gesagt werden: bitte gebt dieser Künstlerin mehr Probs! Sie hat es wirklich verdient. Hupfdohlen haben wir genug, wir wollen musikalische Menschen sehen und Jessie J ist eine der Großen unter ihnen.
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Foto von Christopher.
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