Alles ein wenig anders als zuvor. Zwar ist auch Katie Melua nun erstmalig auf Tour nach der Pandemie, was quasi ein neues Zeitalter darstellt, gleichzeitig gibt es aber noch einen anderen, viel persönlicheren Einschnitt: Es ist die erste Tour, die sie als Mutter bestreitet. Sie hofft, dass ihr Sohn während des Konzertes in Köln ruhig schläft und sie nicht schon vermisst.
Das Palladium sieht man eher selten bestuhlt. Die größte Indoor-Location für Konzerte nach der Lanxess Arena, ist in Köln immer ein Sammelpunkt für ziemlich bewegungsfreudige Gigs. Dass man sitzt, nicht mitsingt, nicht mitklatscht und auch eher selten sein Handy zückt, ist wirklich eine absolute Ausnahme. Wann war das letzte Mal eine Show wohl dermaßen ruhig wie an diesem Sonntagabend, dem 23.4.23?
Katie Melua ist einfach auch ihr ganz eigenes Ding. Einige behaupten, es sei vertonte Langeweile, andere stempeln ihre Musik als nette Hintergrundbeschallung ab – oder man entscheidet sich dazu, den Alltag draußen zu lassen. Dort, wo der Nieselregen vom Himmel tropft und die Temperaturen auch gen Ende April nachts immer noch einstellig sind. Denn ein Konzert wie dieses funktioniert nur, wenn man sich ein wenig frei davon macht, Erregung durch Reizüberflutung, Lautstärke und Bewegung zu verspüren. Stattdessen kommt das Konzertgefühl eher von Innen aus einem selbst heraus.
Die rund 50 Sitzreihen sind bis auf ganz wenige Ausnahmen besetzt. Viele haben noch Tickets aus Corona-Zeiten in den Taschen, galt die Tour nämlich als Begleitung zum vorigen Album “Album No.8” , das im Herbst 2020 erschien. Aber – wir müssen es wirklich nicht mehr erklären – dass das alles nicht so ganz geklappt hat und zwischendrin eben auch einfach andere Lebensprojekte wie ein Baby dazwischenkommen, führen dazu, dass dann schon das Nachfolgewerk “Love & Money” draußen ist und alle ein paar Tage mehr auf dem Buckel haben. Trotz Sitzplätzen ist übrigens das Konzerterlebnis alles andere als bequem: Sind die Stühle per se schon sehr schmal, sind sie zusätzlich dermaßen eng beieinander gestellt, dass mehrere Konzertbesucher*innen vor Showbeginn die Stühle auseinanderziehen. Manche entscheiden sich sogar dazu, ihren Platz zu verlassen und lieber von den Seiten zuzugucken. Drei bis vier Menschen weniger pro Reihe hätte also keinesfalls geschadet.
Dafür geht es fast pünktlich los – und das zu einer sowieso schon sehr frühen Uhrzeit. Um 18:32 Uhr betritt die vierköpfige Band sowie Katie selbst die Bühne. Ganz unaufgeregt, ohne Intro, ohne Effekt. Erst 45, dann 50 Minuten, unterbrochen von einer 20-minütigen Pause spielt die in Georgien geborene Künstlerin 20 Titel aus 20 Jahren Musikkarriere. Eine Zeitspanne, die sie selbst ein wenig erschlägt. Die Hälfte der Setlist ist aus den zwei aktuellen LPs zusammengesetzt, die andere Hälfte aus ihrem Schaffen davor. Eine faire Aufteilung.
Waren wir bereits 2019 von Katie Melua in Wuppertal hellauf begeistert, sind wir auch dieses Mal erneut sehr angetan. Zwar fallen zwei starke Faktoren, die man bei der letzten großen Tour bekam, weg, nämlich einerseits den 16-köpfigen Frauenchor aus ihrem Heimatland sowie stilvolle Videoeinspieler auf Leinwand, so stimmt dafür aber ansonsten alles. Die Bühne ist lediglich mit Tüchern behangen, die bis an die Decke reichen. Diese sowie die Musiker*innen werden in wechselnde Lichter eingehüllt. Mehr passiert nicht.
Aber genau das ist ausnahmsweise exakt die richtige Entscheidung. Braucht es für viele Konzerte doch etwas mehr als nur die reine Musik, ist es hier eher das Gegenteil. Alles, was nicht Musik ist, ist zu viel. Nur so tritt ein Effekt ein, den man ansonsten bei Pop-Shows nicht bekommt – ein Zur-Ruhe-Kommen. Die 95 Minuten haben etwas Meditatives. Man bewegt sich immer weniger, man atmet ruhiger, man blendet das Umfeld immer mehr aus. Es lohnt sich, auch mal längere Zeit die Augen zu schließen und einfach mal nur zu hören. Natürlich gibt es bei fast allen Konzerten immer Momente, in denen der Fokus auf den Gesang gelegt werden sollte, aber hier hat es wirklich eine klar wahrzunehmende Wirkung.
Katie singt in ihrem glitzernden schwarzen Jumpsuit vom ersten bis zum letzten Ton perfekt. Der Sound ist bis auf wenige Minuten zu Beginn wunderbar abgemischt. Jeder ihrer vier Bandmember hat mehrere eigene Parts, die schön nach vorne gedreht werden, sodass ein Klavier genauso wohlig daherkommt wie die wenigen, dafür aber wahnsinnig tollen E-Gitarren-Soli. Der Bassist wechselt regelmäßig zwischen elektronisch und akustisch hin und her und auch an den Drums ist es mal ganz leise und mal reduziert. Laut wird es nie, nur auch mal beschwingter. Das Konzept funktioniert, wenn man es zulassen kann. Wenn man von der Medienwelt nicht so manipuliert wurde, dass Ruhe nur noch mit Angst gleichzusetzten ist, sondern doch auch noch dankend angenommen wird.
Die einige Male, die Zuschauer*innen ihr Handy zücken, sind dennoch nicht störend, weil alle probieren, rücksichtsvoll und leise zu agieren. Natürlich sind Klassiker wie “The Closest Thing To Crazy”, “Nine Million Bicycles”, das grandiose “Wonderful Life”-Cover und “Call Off The Search” Objekte der Begierde. Aber auch neue Titel wie “Quiet Moves” oder das in Fern- und Heimweh getränkte “Love & Money” gehen tief. Neben den Tönen findet Katie auch tolle gesprochene Worte. So zum Beispiel eine Geschichte über ihren ehemaligen Psychotherapeuten, der ihr in ihrer dunkelsten Zeit vor zehn Jahren half, irgendwann selbst psychisch krank wurde und nun verstarb. Ihm widmet sie gar einen Song.
Zweifelsfrei ist ein Konzert der Künstlerin nichts, was man jedem empfehlen sollte. Es wird schlichtweg nicht jeden abholen. Auch wenn der Frauenchor der 2019-Tour ihrem Sound ein ganz spezielles Upgrade gab, ist Katie Melua mit Band ein Hörerlebnis und Entschleunigung für die Sinne. Wie Yoga ohne Muskelkater.
Und so hört sich das an:
Website / Facebook / Instagram / Twitter
Bild von Christopher
* Affiliate-Link: Du unterstützt minutenmusik über deinen Einkauf. Der Artikel wird für dich dadurch nicht teurer.