VV (Ville Valo), Live Music Hall Köln, 08.03.2023

vv ville valo in köln

Den größten Applaus gibt es, da läuft das Konzert von Ville Valo, der sich seit Kurzem VV nennt, schon rund 85 Minuten. Dann spricht er nämlich das erste Mal. Ok, eigentlich das zweite Mal, aber das Mal davor ist nur ein kurzes „Danke schön“ und der Abschluss des eigentlichen Sets. Ein wenig speziell ist der Abend des 8.3., einem Mittwoch, in der Live Music Hall also schon.

Rund um das Millennium wehte ein kühler, düsterer Wind aus Skandinavien zu uns. Die finnische Band HIM gründete sich bereits 1991. Frontmann Ville Valo war da gerade einmal 15 Jahre jung. Es dauert jedoch gute sechs Jahre, bis mit dem Debütwerk „Greatest Lovesongs Vol. 666“ die Band direkt in ihrer Heimat total den Nerv der Zeit trifft. Die Smokey Eyes, der fragile Sound der Stimme, die knatschenden Gitarren, der Soft Rock, getränkt mit leichter Todessehnsucht in den Lyrics. Auf Anhieb wird man beliebt, später irgendwann zur erfolgreichsten und international wohl bekanntesten Band des Landes, die auch nun noch sechs Jahre nach dem Split für ein weinendes wie ein lachendes Auge sorgt, einfach weil man sie so vermisst und mit ihr so viele Momente verbindet.

Hat man aber 25 Jahre gemeinsam musiziert, ein Stück weit einen eigenen Sound kreiert, der jede*n sofort an einen erinnert, und sind die Verkäufe einfach auch entschieden zurückgegangen – in Zahlen: „Razorblade Romance“ ging 1999 eine Millionen Mal über den Ladentisch, „Screamworks“ 2010 rund 15.000 Mal – braucht man sich keinesfalls dafür schämen, getrennte Wege gehen zu wollen. Immerhin hat man alles erreicht. Doch Fans, besonders wohl jene die in den 80ern geboren wurden, lassen von besonderen Erlebnissen, die sie mit dem Dark-Rock-Gothic-Metalern im Ohr teilten, nicht so schnell los.

Auch wenn Ville Valo neben HIM immer mal Seitprojekte ausprobierte – besonders erfolgreich war die Kollaboration „Bittersweet“ mit Lauri Ylönen von The Rasmus und Apocalyptica sowie das Duett „Summer Wine“ mit Natalia Avelon – war kein richtiger Platz, um sich mal komplett nach der eigenen Nase auszutoben. Kurz nach der Trennung seiner Band probierte sich der 46-jährige bei einem weiteren Feature mit Musik auf seiner Muttersprache aus (Ville Valo & Agents, 2019), 2023 ist aber der Zeitpunkt gekommen, an dem man mal ganz allein durchzieht. Wie sich das für eine gute Metamorphose gehört, wird der Look etwas angepasst – Haare ab, Baskenmütze drauf – ein Künstlername gewählt – so wird also aus Ville Valo das Kürzere, wenn auch etwas merkwürdige VV – und ein Album aufgenommen, das über einen langen Zeitraum durch EP und einzelne Singles angeteasert wird. „Neon Noir“ hat auch uns durch seine schönen Melodien und seine stringente Atmosphäre bis auf die etwas unschöne Produktion und den vielleicht nicht ganz abwechslungsreichen Sound überzeugen können.

Fast 60 (!) Gigs in vier Monaten stehen an, davon rund die Hälfte in den USA, die andere Hälfte quer durch Europa. Offensichtlich haben äußerst viele Menschen den Sound sehr vermisst, denn „Neon Noir“ ist von dem, wofür HIM standen, nicht weit entfernt. Eigentlich ist der Gute nur etwas milder, romantischer geworden, legt noch mehr Wert auf eingängige Melodien, Gruselgänsehaut und weniger Bumms. In Deutschland hält VV fünf Mal, Köln bildet den Abschluss. Auch wenn die Locations nicht mehr ganz die Größe wie zu den Bestzeiten des Künstlers haben, sind dennoch fast alle Shows ausverkauft. So auch die in der 1500 Personen starken Live Music Hall in Köln, bei der sich schon vor Einlass trotz Schnee und Regen die Warteschlange mehrere hundert Meter bis ums Eck bildet.

Das Publikum erwartet zweifellos einen Sprung in die Vergangenheit. Ins Damals, als man noch nicht so recht wusste, wohin mit sich oder was das Leben so lebenswert macht. Viele haben alte Bandshirts an, den Kajal besonders dick aufgetragen und Schwarz als Farbe des Abends gewählt. Älter ist man trotzdem geworden, so ist die Stimmung ruhig und entspannt, auch während der Show. Alles herrlich unangestrengt, zumindest bis die Vorband auftritt. Kaelan Milka aus Island sind ein Frauentrio, das 80s-New-Wave mit Gothic-Elementen verbindet, was spannend auf Papier klingt, akustisch aber eher einem Desaster gleicht. Unangenehm und kreischend gibt es in den 35 Minuten Spielzeit eigentlich nur einen langsameren und einen schnelleren Song. Der Beifall ist äußerst klein oder bleibt manchmal gar ganz aus. Verwundert nicht.

In der halben Stunde, die als Pause bis zum Hauptact dient, passiert umbautechnisch eher wenig. Das hätte man womöglich noch schneller abhandeln können. Los geht es dann mit dem Headliner um kurz nach 21 Uhr. Mystisches Intro, Band – bestehend aus zwei Gitarristen, einem Bassisten und einem Drummer – kommen auf die Stage, Ville Valo kurze Zeit später hinterher. Und dann folgen 95 Minuten Musik.

Das war’s dann eigentlich auch schon. Außer ein paar soliden Lichteffekten – darunter ein großes „Heartagram“, das schon als Symbol bei HIM hervorstach und zwischenzeitlich projiziert durch den Raum fliegt – geschieht nichts, was groß erwähnt werden müsste. Keinerlei Showelemente, kein Umbau, keine Kostümwechsel und eben bis kurz vor Schluss auch keinerlei Publikumsinteraktion. Mit Sicherheit ist das immer ein wenig Geschmacksache, wie viel Drumherum ein Konzert so braucht, aber hier ist wirklich nur nur nur die Musik.

VV sieht elegant gekleidet aus, trägt eben diese auffällige Mütze und ein tailliert geschnittenes Sakko. Er beachtet die Fans wenig bis gar nicht, er singt fast immer gut, an einigen Stellen herausragend, an anderen etwas krächzend schief und seine Stimme überschlägt sich. Trotzdem behält sie immer noch diesen warmen, markanten Klang bei. In den Soli der Band dreht er sich weg von der Crowd, trinkt etwas und schnäuzt in sein schwarzes Stofftaschentuch. Er habe einen Schnupfen, antwortet er später auf Nachfrage eines Fans. Hört man zum Glück nicht, sieht man eben nur.

Die 18 Tracks umfassende Setlist ist spannend gestaltet. Immer im Wechsel hört man einen Song seines Solodebüts „Neon Noir“ und dann einen aus dem HIM-Repertoire. Das wird wohl viele der Anwesenden sehr beruhigen, hätte man natürlich damit rechnen müssen, dass es exakt null Songs von der damaligen Lieblingsband zu hören gibt. Gleich neun zu bekommen, ist somit mehr als zufriedenstellend. Darunter sind einige wahre Classics. „Right Here In My Arms“, „Buried Alive By Love“, „The Funeral of Hearts“, „Poison Girl“ und selbstverständlich der einzige Nummer-1-Hit hierzulande, „Join Me“, gehen richtig tief und treffen absolut den Nerv. Klingen auch so, als hätte jemand den Zeitumkehrer von Harry Potter benutzt. Mit „Wings of a Butterfly“ hat es auch der letzte größere Singleerfolg auf die Setlist geschafft. Mit „When Love and Death Embrace“, „Soul On Fire“ und „The Kiss of Dawn“ gibt es dafür aber auch gleich drei Songs, die man wohl lieber gegen „Heartache Every Moment“, „In Joy and Sorrow“, „Pretending“ oder „The Sacrament“ getauscht hätte.

Von der aktuellen LP fallen das echt tolle „Baby Lacrimarium“ und „Vertigo Eyes“ hintenüber, „Zener Solitaire“ läuft vom Band als Intro. Zum Thema „Läuft vom Band“: Ganz live ist das Alles hier nicht. Stattdessen kommen mehrere Spuren aus der Konserve, die dann durch die vier Instrumentalisten live ergänzt und vervollständigt werden. Die Backingvocals sind ausschließlich eingespielt, da neben Ville niemand sonst singt. Dadurch klingt alles eben in der Live Version fast 1:1 wie die Studioaufnahmen. Fehlen dann auch noch irgendwelche Besonderheiten fürs Auge, wird es, nachdem das „Endlich sehe ich Ville Valo wieder“-Bedürfnis gestillt wurde, einfach etwas langweilig.

Doch dann passiert im Zugabenblock vor dem finalen Track „Saturnine Saturnalia“ etwas fast schon Irritierendes. Er spricht. Er lacht. Er geht in einen Dialog und wirkt plötzlich nicht mehr so, als ob das gerade alles nur für den Geldbeutel geschieht. VV gratuliert zum Internationalen Frauentag, erzählt einen Schnack über seine Mutter, die wütend sein könnte, wenn er nicht zu diesem für sie wichtigen Ereignis eine Nachricht schickt. Er bedankt sich für die Treue, fragt, ob das Bedürfnis da sei, dass er und die Band wiederkommen. Das wird mit großem Applaus bejaht, gar mit einem größeren Applaus als bei fast allen Songs, die davor gespielt wurden. Das beweist, dass es oft bei einem Konzert einfach nicht nur darum geht, die Acts zu sehen und die Songs zu hören, sondern auch das gewisse Etwas vonnöten ist. Das können besondere Versionen der Hits sein, Reize beim Zuschauen oder auch dieser authentisch wirkende und locker sieben bis acht Minuten dauernde Gesprächsanteil, mit dem wohl eigentlich niemand mehr gerechnet hatte.

Ville Valo ist zurück. Ein Stück Jugend. Das tut richtig gut. Allerdings bleibt es am Ende dann doch nur bei einem ganz okayen Abend. Mit etwas mehr Sympathie seitens des Acts, einigen Änderungen in der Setlist und immer mal wieder ein paar neuen Songs, die sich gut ins Oeuvre einreihen, kann das dann auch gern noch zehn oder 20 Jahre so weitergehen.

Und so hört sich das an:

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Bild von Christopher

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