Wer denkt die Zeit einstündiger, hoch lyrischer Rap-Konzeptalben sei schon lange unter Adlips und Auto-Tune-Gesang begraben, hat seine Rechnung wohl ohne den New Yorker-Rapper Aesop Rock gemacht. Ian Mathias Bavitz, wie Rock abseits von Bühnen und Platten-Covern heißt, gilt nicht nur seit einer 2017er-Studie des Datenwissenschaftlers Matt Daniels als der englischsprachige Rapper mit dem größten Wortschatz. Nein, er beweist dies auch noch regelmäßig durch seine von wilder Metaphorik geprägten Raps. Ja, beinahe fühlt man sich beim Hören seiner Texte als säße man wieder auf einer dieser durchgesessenen Holzstühle im Deutschunterricht und verzweifle vor dem X-ten Gedicht, das man ums Verrecken nicht verstehen will. Vermutlich geht’s wieder mal um Freiheit oder so. So saß ich während der Recherche zu dieser Review parallel zum Hören von „Spirit World Field Guide“ vor genius, um Aesop Rocks hochkomplexe Reimpattern mitzulesen, sie auf Anhieb dann aber trotzdem nur zur Hälfte zu verstehen. Der Unterschied zur damals aufgezwungenen Lektüre von Goethe, Schiller und Co: Das Kämpfen mit den Texten des New Yorkers lässt nicht nur jeden von Sprache faszinierten Menschen aufjubeln, sondern offenbart zusätzlich Einblicke in fantastische Welten. Denn mit seinem neusten Release beweist Aesop Rock aber mal, dass er sich wahrhaftig als waschechter Lyriker bezeichnen dürfte, würde er das denn wollen, und nimmt uns dabei mit auf eine Reise in das Unfassbare.
Reiseführer
„Hello from the spirit world!“ begrüßt uns der Rapper auf dem ruhig gesprochenen Intro der Platte. Dann erklärt er uns, worum es in den nächsten 60 Minuten gehen wird. So sei Bavitz laut eigener Aussage schon seit längerer Zeit durch die sogenannte Geisterwelt gereist. Auf seinen gefährlichen Reisen habe er einen Orientierungs-Ratgeber für alle mutigen Seelen geschrieben, die ihm auf seinem waghalsigen Trip folgen wollen. Okay, wie du meinst Rock, dann erzähl mal!
In seiner Ausführung klingt (und liest sich) dieses Vorhaben so abstrus und wirr, wie man sich das eben vorstellt. Auf Tracks mit Namen wie „Liquid Sword“ oder „Holy Waterfall“ rappt Rock über Geister, Ufos und ähnlich Paranormales, das sich in einem mystischen Schattenreich halt so tummelt. Er selbst scheint sich dabei nicht von diesen weirden Wesen abzugrenzen und verkündet so auf „Jumpin Coffin“: „I’m a slow bird, crawl around the roadworks. Something from the other side clawing at the known world.“ Tatsächlich zweifelt man beim Hören der Platte regelmäßig an der weltlichen Abstammung des Rappers, würde eine übernatürliche Herkunft Bavitzs doch immerhin erklären, wie ein einzelner Mann in solch einer Masse vielschichtige Reimketten rausballern kann. Ja, wie eine unaufhaltbare Flutwelle ergießt sich Rock auf den einzelnen Anspielstationen von „Spirit World Field Guide“. Das ist zwar meist äußerst wirr und kognitiv herausfordernd, reimtechnisch aber stets überragend, wie folgende Zeilen aus dem Outro-Track „The Four Winds“ beweisen: „If you cultivate the grid that make ya fold the face. The brick that make a bolt escape the fist. Some days on the road to make he miss and make the hold on the probe equate to piss.“ Wow! Neben derartigen, dadaistischen Mehrfachreimen brilliert sein Pen-Game durch eine beeindruckende Mischung unterschiedlicher Querverweise. Hier treffen Mythologie und Religion auf Popkultur. Hier reimt sich „River Styx“ auf „Britney Bitch“.
Die Angst davor, dass die Instrumentals der Platte durch eine textliche Überlandung zum Beiwerk verkümmern könnten, bleibt glücklicherweise unbegründet. Von Song zu Song scheinen die Beats auf „Spirit World Field Guide“ seltsamer, ja gar paranormaler zu werden. Von polternden Oldschool-Vibes, über 8bit-Samples bis hin zu ungeschliffenem Pianoklimpern: Die Klänge des Albums bieten die ideale Unterfütterung für die interdimensionale Pilgerfahrt, auf die uns Aesop Rock auf seinem achten Soloalbum mitnimmt. Plötzliche Beat- und Stimmungsumbrüche sind hier kein überraschendes Element, sondern liegen in der Natur der Sache.
Weltenwandler
Besonders fasziniert „Spirit World Field Guide“ dann, wenn die ereignisreichen Erzählungen Aesop Rocks für kurze Sequenzen in unsere, in die reale Welt wechseln. So präsentiert er in den kurzen Zwischenstücken des Langspielers auf lustige und äußerst kreative Weise alltägliche Probleme und Ängste, wie Verfolgungswahn („Dog At The Door“), chronische Faulheit („Flies“) oder körperlichen Verschleiß („1 To 10“). Eine Brücke zwischen Wirklichkeit und Geisterwelt baut er zudem mit der Vorab-Single „Pizza Alley“, in der er sein Weltbild erweiternde Erfahrungen während eines Trips nach Peru präsentiert. Zwischen dem Schwimmen mit exotischen Fischen und Alpaka-Reitstunden erzählt er dabei auch von mystischer Heilkunde indigener Schamanen. Realität und Geisterwelt verschmelzen.
Ähnlich wie seine Reise nach Peru ist auch die Reise auf dem achten Soloalbum von Ian Mathias Bavitz kein seichter Erholungstrip. Ab und an ist es einem zwar möglich den warmen Klängen jazziger Samples zu lauschen, schnell wird man dann aber wieder vom fordernden Vortrag des Rappers in Anspruch genommen. Denn „Spirit World Field Guide“ bietet viel zu entdecken, zu durchstöbern und vor allem viel herauszufinden. Ja, letztlich bleibt offen, ob Aesop Rock mit seinem neuesten Werk einem aufwendig aufbereiteten Sprachbild folgt, um die Irrungen und Wirrungen seiner Gedankenwelt verständlich zu vermitteln, oder schlicht wilde und fantastische Geschichten erzählen möchte, in denen Geister und Co wirklich existieren. Sicher ist nur, dass jede*r Sprachliebhaber*in viel Freude dabei haben wird zu entschlüsseln, welche Bedeutung „Spirit World Field Guide“ für ihn/sie ganz persönlich haben soll. Vermutlich liegt die beabsichtige Aussage der Platte irgendwo zwischen allen möglichen Antworten und zur Not geht es halt einfach wieder um Freiheit oder so.
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