Filmproduzent*innen auf der ganzen Welt atmen auf: Für die nächsten Szenen in abgelegene Weiten steht der passende Soundtrack also. Und der kommt von Eivør, der faröischen Künstlerin, die mit ihrem zweiten Album “Segl” erneut das Tal zwischen kühler Elektronik und wohlig warmen Emotionen schließt. Dennoch – so ganz will sich der sommerliche Rot-Ton des Covers nicht mit den breiten Sphären der Musik vereinbaren. Die scheint Eivør hingegen viel mehr aus ihrer Heimat mitgenommen zu haben: Aufgewachsen ist die Musikerin nämlich auf den abgeschiedenen Faröer-Inseln, in einem Dorf mit gerade einmal 1000 Einwohner*innen. Wer sich beim Hören des Albums nun Landschaftsbilder der vulkanischen Felseninseln zu Gemüte führt, wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen unvergleichlichen Bewusstseinszustand erreichen.
Behutsam zur Ruhe finden
So zart und vorsichtig wie der Opener “Mánasegl” die Schwingen ausbreitet und sich gen hohe Weiten erhebt, so bedacht finden die Kompositionen ihren Kern. Der ist meist umgeben von Synthies, die mal einen drängenden Kontrast zum intimen Gesang darstellen (“Sleep on it”), mal mit wabernden, unsteten Wellen aufschlagen (“Only Love”) oder sich in luftleeren Sphären entladen (“Let It Come”). Gerade weil sich das Songwriting immer wieder in die ganz weiten Tiefen fallen lässt, gleicht Eivørs Timbre einem verlässlichen Wegweiser vorbei an hohen Klippen und unendlichen Horizonten. Dabei gemahnt sie in der ungewöhnlichen Kopfstimme durchaus an Björk, findet aber gerade in den Momenten treibender Beats eine beeindruckend kräftige Tonlage, wie im faröischen Feature mit Einar Selvik namens “Stirdur Saknur”. Doch selbst wenn Eivørs Spiel mit diversen Stilen elektronischer Musik auch durchaus treibende, fordernde Momente erschafft, steht im Herzen des Albums eine cineastische Anmut.
Gefühle im kühlen Norden
Wenn Eivør “Stay with me, my love, there is nothing to fear” intoniert, kann man gar nicht anders, als die ausgestreckte Hand zu greifen und gemeinsam einen Schritt nach vorne zu gehen. Eine gewisse Altersweisheit schwingt in den Stücken der eigentlich doch noch recht jungen Musikerin mit, verleiht ihnen ein Stück Allgemeingültigkeit. Dazu passen dann auch ambitionierte Konstruktionen wie im ruhigen “Hands”, das sich erst im Klimax an breite Streicher wagt und in die großen Weiten aufbricht. Recht kontrastreich klingt dafür das düstere “This City”, in dem die Synthesizer mehr Feind als Freund darstellen. Doch Eivør lässt das lyrische Ich nie untergehen. “I keep my feet steady on the ground” behauptet sie und geht ihren Weg weiter. Weiter durch gigantische Synthesizer-Gletscher, die von menschlicher Wärme nichts wissen wollen. Dem setzt Eivør einen riesigen Chor entgegen, der “Love is all that matters” statuiert (“Truth”) und damit selbst den größten Eisbrocken zum Schmelzen bringen würde. So bleibt “Segl” eine ungewöhnliche Reise zwischen kühler Desorientierung und intimer Wärme. In der vermeintlichen Dichotomie von kantigen Beats und bekräftigenden Texten findet sich hier ein wahrer Goldschatz an großen Momenten.
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