Miss Allie – Immer Wieder Fallen

Viele Wege führen nach Rom. Um musikalisch gegen die übermäßig große Konkurrenz anstinken zu können, genügt es nicht mehr, mal kurz ein Album veröffentlichen zu dürfen oder zu einer Castingshow zu rennen. Streamingportale geben nahezu jede*r Hobbymusiker*in die Möglichkeit, das eigene Zeug zu veröffentlichen, wodurch das Angebot noch größer wird und man als Konsument*in gar nicht richtig weiß, wonach man aussieben soll. Miss Allie hat ebenfalls für sich eine Strategie gefunden, um von ihrer Leidenschaft leben zu können, und die nennt sich: Durchhalten.

Die fast 32-jährige in Berlin geborene, aber in Lüneburg lebende „Singer-Songwriterin mit Herz“, wie sie sich selbst gern schimpft, hat kein großes Team hinter sich. Stattdessen gehen sämtliche Kompositionen und Texte auf ihre Kappe, die Produktion wird von einem Herrn übernommen, das Management und die Promo ebenso. Trotzdem folgt mit Immer Wieder Fallen bereits der dritte Longplayer in dem Universum der kleinen, oft barfüßig auftretenden Person, die durch ein kleines Budget eben nicht auf die große Effekthascherei setzt, sondern in erster Linie auf ihre Präsenz, die für viel Storytelling steht.

Miss Allie hat unglaublich viel Biss. Vor der Pandemie gab es dreistellige Auftrittszahlen pro Jahr. Jede Gelegenheit wird wahrgenommen, um das Selbstkreierte in die Welt zu bringen. Auftritte bei NightWash, auf sämtlichen Kleinkunstbühnen, bei Slams und irgendwann auch ganz eigene Shows, die sie über zwei Stunden trägt. Elisa Hantsch, wie sie bürgerlich heißt, liefert Authentizität und fast schon einen Hauch Naivität, was aber wirklich als Kompliment aufzunehmen ist. Wer soll für eine*n brennen, wenn man es nicht selbst tut?

Immer Wieder Fallen ist eine klar zu erkennende Entwicklung im MissAllie-Universum. War das Debüt „Mein Herz und die Toilette“ (2018) noch eine Liveaufnahme, folgte bei „Aus Scheiße wird Gold“ (2019) die erste im Studio aufgenommene LP. Nutzten die meisten Künstler*innen die Jahre 2020 und 21, um ein neues Album rauszubringen, ließ sich die unglaublich sympathisch-niedliche Songwriterin nun vergleichsweise lange Zeit, um mit dem nächsten Material nachzuliefern. Einerseits keine schlechte Idee, sodass die stets wachsende Fanschar die bereits vorhandenen Titel erstmal richtig inhaliert und verdauen konnte, andererseits aber auch ein wenig gewagt – wie gesagt, die Konkurrenz erschlägt einen oft durch den inflationären Veröffentlichungswahn.

Doch Miss Allie macht auch in Runde Drei genau das, was ihr Erfolgsrezept ausmacht: Nicht zu groß denken, sich lieber im Kleinen gemütlich bewegen und ganz besonders auf sich selbst hören. Das merkt man Immer Wieder Fallen in seiner Dreiviertelstunde, die durch 15 Tracks inklusive einem Bonussong geprägt ist, permanent an. Sie hat ihre Themen, ihren Sound, ihre Art des Vortrags und damit auch ein Alleinstellungsmerkmal.

Hört man nur kurz an, grault es einem vor dem nächsten LeaNamikaLuna-Whatever-Abklatsch, denn gerade der oft reduzierte Akustikgitarren-Klang mit einer sanften Mädchenstimme mag bei vielen im ersten Moment Alarmstufe Rot im Ohr sein. Doch Miss Allie besticht in erster Linie durch ihre meist unglaublich witzigen, leicht irren, teils tieftraurigen Lyrics, die ganz schön lebensnah wirken. Und ja, die beschreiben nicht einfach das immer gleiche, universelle „Du tust mir weh, du bist so toxisch“-Gequatsche, sondern trauen sich auch mal konkreter zu werden.

Trotzdem ist auf Immer Wieder Fallen ein bisschen was anders. Gerade diejenigen, die den sehr minimalistischen Sound von Allie auf der Bühne mögen, könnten fast schon überfordert sein von dem Klangbett. Zwar ist das Package immer noch eindeutig Singer-Songwriter, aber wesentlich poppiger und opulenter. Miss Allie wechselt in der Instrumentierung und nimmt sogar Chöre dazu. Das ist äußerst abwechslungsreich, überraschend, aber eben auch etwas vom ursprünglichen Konzept weg.

Im Kern bleibt aber das, wofür man die Frau mit den skurrilen Geschichten mag, auch bestehen. Wirklich hervorragende Songs gibt es einige. Die aktuelle Single „Ukulele“ dreht den Spieß mal um und beschreibt die Situation, in der sie total horny auf ihn ist und er ihr aber lieber beim Gitarrespielen zuhören mag. Wie kann man(n) nur? Auch „Das Geschenk“ wählt einen Alltagsmoment und dreht ihn um – was zur Hölle fängt man damit an, wenn der andere einem sein Herz schenkt?

Politische Unstimmigkeiten finden ebenso wieder ihren Weg auf den Longplayer. „Weltsicherheitsrat“ ist dabei im Vergleich zu dem etwas überdrehten „Alles nur geträumt“ der Sieger. Die zwei schönsten Momente erwarten eine*n jedoch abermals in den sehr gefühlsbetonten, tristen Stimmungen, die Allie in dem zunächst ausweglos erscheinenden „Verkackt“ ganz unkitischig beschreibt. Die Pointe ist bitter, aber on point. Im leichten Folk-Mittelalterrock-Stil geht „Feuer und Flamme“ ein Wagnis ein und ist musikalisch sehr hörenswert.

Auch mit dem neusten Werk beweist Miss Allie, dass es sich lohnt, für etwas zu stehen, sich nicht anzubiedern, sich nicht zu verbiegen und lieber auf den ganz großen Wurf zu scheißen, um dafür aber an sich selbst dranbleiben zu können. Die Veränderung ist in einem schönen, angenehmen Rahmen zu erkennen. Liebe im Detail. Und davon gibt’s ja ansonsten leider in der Deutsch-Pop-Szene bekanntlich zu wenig.

Und so hört sich das an:

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Die Rechte fürs Cover liegen bei MISS ALLIE / LOVE YOUR ARTIS/ SPINNUP.

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