AnNa R., Theater am Marientor Duisburg, 12.03.2024

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Konzerttickets für Acts, die man nicht mag, hat man wohl selten bis nie. Dafür hat man aber häufiger auch mal Karten für Shows, an denen man eine ganz besondere Erwartungshaltung hat. Von Künstler*innen, an denen viel Herzblut hängt. Die mit großer emotionaler Verbundenheit einhergehen. Einige Menschen, die am 12.3., einem Dienstag, im Theater am Marientor in Duisburg Platz nehmen, kennen das, denn AnNa R. tritt auf. Und das bedeutet eben für so manchen ein Stück Lebensgefühls.

Seit 2012 warten Fans mal mit mehr, mal mit weniger großer Hoffnung auf das Comeback von Rosenstolz. Die deutsche Band, die queer, feministisch, laut und schräg war, als sich niemand anderes traute und man für mehrere dieser Attribute nicht mal den passenden Begriff kannte. Das, was heute Gang und Gäbe sein mag, gleicht in den 90ern und frühen 2000ern purem Edge. Viele hassen es und drehen sich schaudernd weg, andere verlieren sich bis in die kleinste Faser ihres Körpers in die endlos erscheinenden Gefühlswelten von Peter Plate und AnNa R. Doch irgendwann ist die Luft raus, die Kreativität aufgebraucht, die Geschichte auserzählt, zumindest für die beiden Bandmitglieder. Ob nochmal was kommt? Man weiß es nicht.

Doch die 54-jährige in Ost-Berlin geborene Sängerin weist immer gern darauf hin, dass in den vergangenen zwölf Jahren in ihrer Karriere trotzdem einiges passiert sei. Schon im Frühjahr 2013 kehrt sie mit ihrer neuen Band Gleis 8 zurück. Zwei Alben werden veröffentlicht, das Ergebnis ist eher mittelprächtig. Klingt wie eine radiotauglichere Variante von Rosenstolz, nur mit weniger Tiefgang in den Lyrics. Besser schlägt sie sich Ende des letzten Jahrzehnts als Gastsängerin bei der Berliner Band Silly, die sie für drei Jahre auf der Bühne und sogar für ein Album im Studio begleitet.

Richtig greifbar wird die neue AnNa R. aber erst im September 2023 mit ihrem ersten Soloalbum, “König:in”. Eine Vielzahl der Songs waren eigentlich für eine dritte Gleis 8-LP bestimmt, doch die introvertierte Persönlichkeit, wie sie sich selbst beschreibt, traut sich final allein ins Rampenlicht. War sie schon vorher stets die Gallionsfigur, blickt sie nun ohne männliche Unterstützung ihren Fans als Einzige entgegen. In den 90ern legte sie den Grundstein für ihr fast schon sagenumwobenes Image. Sie ist eine der prägnantesten deutschen Frauen im Musikbusiness. Ihr Antlitz schrieb Bände. Ihre Stimme ist unter 1000 schwer verwechselbar. Somit ist die Voraussetzung für eine “Ich”-Reise perfekt.

Wie eingangs erwähnt: Die Erwartungshaltung ist hoch. Allein ihr Name schafft es im Vorfeld unzählige Tickets zu verkaufen, sodass mehrere der zwölf Gigs im vergangenen Herbst beim ersten Tour-Teil ausverkauft sind. Viele sind neugierig, wie das neue Konzept um ihre einstige Lieblingssängerin funktioniert. Zum Album-Release gehen zehn zusätzliche Termine für März 2024 in den Verkauf. Das Interesse an “König:in” hingegen ist nur ok, nicht mehr. Neueinstieg in den Charts auf Platz 8, eine weitere Woche in den Top 100 und dann ist’s auch schon wieder raus. Ist einfach seit Rosenstolz zu viel Zeit vergangen? War das, was zwischendrin passierte, für viele doch zu weit von dem entfernt, weswegen sie einst zu Fans wurden? Genau mit dieser Frage sollte – nein, muss – sich beschäftigt werden, um sich auf die 125 Minuten lange Show einzulassen. Wer kurz vorher eine der 2000er-Live-DVDs hervorgekramt hat, geht wohl enttäuscht nach Haus – wer AnNa R. hingegen auch nach Rosenstolz mitverfolgt hat, wird positiv überrascht.

Wenn man schon weit vor der Veröffentlichung des Longplayers die Hallen vollbekommt, sollte das doch nach der Tour nur wenige Monate später erst Recht funktionieren, oder? Leider ist der “AnNa R. ist wieder da”-Hype scheinbar etwas abgeflacht, sodass beim zweiten Tour-Leg die meisten Locations nur noch zur Hälfte voll sind. So auch das immer wieder super schöne Theater am Marientor mit seinen über 1500 Plätzen, wovon geschätzt eher nur 500 besetzt sind, nämlich die drei Parkettblöcke vor der Bühne. Der Oberrang ist geschlossen, im hinteren Bereich des Parketts sind es sehr wenige, die sich hier entspannt zurücklehnen. Ein untypisches Bild, war vor allen Dingen bei Rosenstolz-Konzerten Sitzen eigentlich undenkbar, aber nicht nur AnNa ist seit dem letzten gemeinsamen Konzert mit Peter Plate Anfang 2010 ganze 14 Jahre älter geworden, sondern auch das Publikum. Allerdings hat sich auch die Crowd an sich ein wenig verändert, ist zumindest der offen queer zu lesende Teil nur noch marginal.

Die Stimmung ist gemütlich. Schon vor dem offiziellen Start spielt das österreichische Duo Zweikanalton für eine halbe Stunde. Die beiden Brüder aus Linz, die seit einem Jahrzehnt Songs veröffentlichen, präsentieren akustischen, generischen Deutsch-Pop, der sehr sympathisch vorgetragen wird, aber auch etwas zäh einleitet. Intim und atmosphärisch wird es nur kurz, mitreißend und aufblühend aber auch nicht mehr. Kann man sich anhören, tut nicht weh.

Großes Lob an die Orga, die stattdessen schon um 20:27 Uhr für AnNa R. die Lichter ausmacht – und gleich wieder anmacht, nämlich die, auf der Bühne. Das sind enorm viele. Die hervorragend choreografierte Lichtshow ist ein absolutes Highlight und viel aufwändiger, als wohl zunächst gedacht. Hier gibt es die unterschiedlichsten Stimmungen und immer das im Fokus, was es gerade braucht. Genauso exzellent ist der Ton, der ab Song 1 hervorragend aus den Boxen klingt. Zwischendrin gibt es noch weitere, kleine Showelemente wie ein Xylophon oder eine leuchtende Fackel. An der Wand hingegen gibt es lediglich ein Banner mit AnNas gezeichnetem Konterfei.

Die sechsköpfige – auch hier: überdurchschnittlich – rein männlich gelesene Band macht eigentlich durchweg alles richtig. Starke Drums, hin und wieder Akkordeon-Einsätze und ein ganz exzellenter Harfenist aus Paraguay, der sogar gen Mitte ein ganzes Stück nur für sich allein hat. Der Musik und ihren Musiker*innen wird auf jeden Fall Raum gegeben. Aber dafür sind selbstredend die Wenigsten gekommen.

Letztendlich geht es um die, die für viele immer noch, für sich selbst aber anscheinend wieder eine Königin ist. AnNa trägt ein schlichtes, langes, schwarzes Kleid mit weißem Kragen, dazu offene schwarze Schuhe mit Absatz. Sie wirkt besonders im Vergleich zu ihren sehr starken Bühnenoutfits in früheren Zeiten etwas bieder und zugeknöpft. Völlig ok, wenn sie sich so wohlfühlt – sie dürfte aber auch durchaus anders. Am Ende soll es jedoch um die Stimme gehen…

…und die ist… ja, gar nicht so einfach zu beurteilen tatsächlich. Zunächst ist sie erstmal ein wenig belegt, das hört man ab dem ersten Ton. Klingt eindeutig nach Erkältung und stellt sich auch als diese heraus. AnNa nutzt einige Male ein Taschentuch und hustet hörbar. Am Anfang braucht sie mehrere Songs, um warm zu werden, sodass bei den beiden Openern “Hinterm Mond” und “Chaos & Symmetrie” einige Töne entschieden zu tief sind. Das tut ein bisschen weh, sind die Songs vom Soloalbum sowieso alle mit einem eher kleineren Tonvorrat geschrieben und gehen quasi nie ins höhere Register.

Auf der anderen Seite macht AnNa R. einen bekanntlich aber auch dann wahnsinnig, wenn sie richtig und vor allen Dingen mit Ausdruck singt. Und das passiert auf der mit 22 Songs wirklich sehr üppigen Setlist immer wieder. Dass sie sich in Silly-Songs richtig hineingekniet hat, hört man bei der sehr speziellen Auswahl “Über ihr taute das Eis”. Auch das tragische “Lied zum Schluss”, das für das verstorbene Gleis 8-Mitglied Lorenz komponiert wurde, hat berührende Momente. Von ihren eigenen Songs ist das äußerst politische und sehr erschreckende “Meer voller Seelen” ein Augenblick, in dem der ganze Saal gebannt zuhört. Betroffenes Nicken gibt es seitens der Crowd obendrauf.

Doch dann gibt es ein Geschenk. Erstmalig seit 2009 singt AnNa live Rosenstolz-Songs. Ja, das ist wirklich außergewöhnlich und auch gar nicht so selbstverständlich, eben weil so, so lange her. Folgt man ihr auf ihren Social-Media-Kanälen, hätte man denken können, dass es – wenn überhaupt – “Ich bin ich”, “Gib mir Sonne” oder “Liebe ist alles” gibt, tauchen jene Songs in ihren Promovideos auf und sind schließlich auch diejenigen, die auch Nicht-Rosenstolz-Fans kennen. Wer wegen jener Videos Tickets gekauft hat, muss nun allerdings ganz stark sein. Man mag ihr gar eine Mogelpackung unterstellen, aber wenn hier noch Rosenstolz-Fans sitzen, sind es eh Hardcore-Fans – und die bekommen mit “Sanfter Verführer” ein “altes Schätzchen”, wie die Sängerin es selbst nennt, das es zuletzt 2001 (!) auf einem Konzert gab. Einige im Publikum schauen irritiert drein, anderen kullert es heiß über die Wange. Wow.

Ähnlich intensiv wird es später mit zwei wahren Klassikern, nämlich “Herzensschöner” in der Version von 1998 und “Nur einmal noch” in dem Tango-Arrangement von der “Das große Leben”-Tour 2006. Besonders bei letztem, das als vorletzte Zugabe platziert es, hält es niemanden mehr im Stuhl. Es wird getanzt, geklatscht und “Na na na na” gesungen. Das fühlt sich wirklich fast so an wie damals. Irgendwie unwirklich. Doch auch neben den Songs ihrer ersten Band gibt es noch ein paar weitere Titel, die im Gedächtnis bleiben. Das ist einerseits das sensationell (!) arrangierte “Sag mir, wo die Blumen sind”, im deutschen Original von Marlene Dietrich, das AnNa mit festem Stand und klarer Haltung vorträgt. Bei “Wo bist du” von Silly, welches es ebenfalls als Cover auf der Rosenstolz-Tour 2006 gab, hat man mittlerweile schon gar nicht mehr das Gefühl, dass es nicht ihr Song sei, einfach, weil man ihn schon so oft von ihr gehört hat. Am Abend in Duisburg gibt es an den richtigen Stellen sogar ordentlich Druck und einen kleinen kraftvollen Wutausbruch. Toll.

Auf der anderen Seite stehen einige Titel, die keinen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen. So sind “Wieviel Tränen”, “Der Sturm” und “Ohne uns” vom Soloalbum, aber auch das immer wieder unauthentisch wirkende “Teufel” von Gleis 8 arg austauschbar. Pure Intensität wechselt sich also in den zwei Stunden gleich mehrfach mit Beliebigkeit ab. Woran die Künstlerin aber komischerweise dringend arbeiten muss, sind ihre Moderationen. Auch nach über 30 Jahren im selben Job fällt es AnNa offensichtlich immer noch schwer, treffende, gute Worte für ihren nächsten Song zu finden. Zwar nimmt sie sich selbst nicht so ernst und verlacht mehrere Patzer, aber dass die immer noch so oft passieren, obwohl es wirklich nicht die erste Show der Tour ist, ist etwas arm. Der kryptische Übergang zu “Herzensschöner” funktioniert auch nur, wenn man weiß, was sie meint. Unangenehm wird es bei der Einleitung zum Solo an der Harfe, bei der sie die Komposition fast schon lächerlich darstellt und sogar das Herkunftsland verwechselt. Uff. Introvertiert hin oder her, aber dann besser gar nix oder nur etwas auswendig Gelerntes sagen.

Mit dem Höhepunkt von “König:in”, “Gute Nacht”, geht es um kurz nach halb Elf nach Hause. Die von Smetanas “Moldau” entlehnte Melodie mit der spannenden Metaphorik ist ein versöhnlicher Rauswurf zwischen vielen Facetten von AnNas Discographie. Eskalation gab es mal, stimmt. Und nee, die ist nicht mehr. Aber es ist auf jeden Fall noch einiges von der Grande Dame des Deutsch-Pop vorhanden. Ob einem das genügt oder nicht, ist eine individuelle Entscheidung. Wir wagen mal zu behaupten, dass ein Konzert ausschließlich mit Rosenstolz-Songs ihr immer noch sehr, sehr gut stehen und dann selbst diese Location-Größenordnung nicht mehr reichen würde. Nur mal so als Idee für den Hinterkopf, falls du auch mal das andere “Königin” wieder singen magst, AnNa R.

Und so hört sich das an:

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Foto von Christopher

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