Wolf Alice, Die Kantine Köln, 09.11.2022

Wolf Alice

Die beste Musik weckt die stärksten Emotionen. Die beste Live-Musik verstärkt den Eindruck der aufgenommenen Versionen noch einmal. Dass Wolf Alice Meister*innen dieses Verstärker-Effekts sind, zeigen sie auch an diesem Abend im November 2022, ganze zwölf Jahre nach Bandgründung und doch so intensiv und erfrischend wie viele Acts in ihrer Debütalbum-Ära. Was zudem deutlich wird: Das Konzert-Erlebnis verändert sich entgegen der Entwicklung auf ihren Veröffentlichungen. „Blue Weekend“ ist live eine echte Bestie. Und das im besten Sinne.

Der einzige Makel

Bevor die schon viele Wochen vor Konzert ausverkaufte Kantine sich aber auf den Hauptact aus der UK freuen darf, beseelt die Berliner Musikerin Nalan den Saal mit einem faszinierenden Mix aus Synth-Pop, Indie-Sanftmut und R’n’B-Sehnsucht. Die Musikerin kennt man auch als Teil des Trios Gadaffi Girls, aufgeregt ist sie trotz einer beeindruckenden Biographie zwischen Produktionen und Aktivismus dennoch. Das tut der Performance aber keinen Abbruch – wirklich ein sehr bewegender Auftritt mit großartigen Samples. Ein Wermutstropfen, der auch bei Wolf Alice bleibt: Der Sound-Mix ist oftmals viel zu basslastig, das Wummern verschluckt die anderen Instrumente und vor allem den Gesang hastig. Oft ist das nervig, die Stimmungskurve zeigt dennoch ab dem bissigen Opener „Smile“ die Maximalgrenze an. Und das bleibt auch so.

Stille Wasser sind laut

Eigentlich ein Widerspruch: Bei der Tour zum Mercury Prize gewinnenden „Visions of a Life“ traten Wolf Alice immer wieder ins Zwielicht, gerade Sängerin und Gitarristin Ellie Rowsell war bei all dem Noise-Charakter des Albums oft zurückgezogen und sanftmütig. Mit „Blue Weekend“ gab es vergangenes Jahr einen Nachfolger, der sich in Melancholie badete und dabei ein paar Ecken und Kanten liegen ließ. Gerade „Smile“ an den Anfang zu setzen, ist daher schon eine Ansage, dass die Live-Performance alles andere als in sich gekehrt ablaufen wird. Mit „You’re A Germ“ und „Formidable Cool“ folgen darauf direkt zwei geradlinige Publikumslieblinge aus den beiden anderen Alben der Band – und der Tanz Richtung Eskalation ist in vollem Gange. Was neu ist: Nicht nur Anheizer Nummer 1 – Bassist Theo Ellis – treibt die Menge mit Ansagen, Hüpfen und co an, sondern auch der Rest der Band. Was besonders neu ist: Rowsell selbst tritt selbstbewusster denn je auf, trägt die Intensität der Texte, Sounds und Stimmungen auch in ihre Performance. Das Publikum: liebt’s und singt so ziemlich jeden Song lautstark mit.

Und davon gibt es eine schillernde Palette an Emotionen. Gerade „Space & Time“ und „Play The Greatest Hits“ führen zur Eskalationsspitze, im Abschluss „Don’t Delete The Kisses“ oder im neuen „Delicious Things“ wird es Indie-wavig – und bei „The Last Man On The Earth“ oder „Safe From Heartbreak“ gibt es die theatralischste Inszenierung und sogleich den Songwriting-Höhepunkt. Die Songs sind dabei durch die Bank gitarrenlastiger, lauter, größer als auf Platte. Die Emotionen: dito. Wenn sich Rowsell während der Zugabe für geteilter Begeisterung ein paar Tränchen aus den Augen wischen muss, ist sie nicht die einzige im Saal. Und diese emotionale Meisterleistung machen Wolf Alice 2022 noch großartiger als sie ohnehin schon waren.

Und so hört sich das an:

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Bild von Julia.

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