Lorde – Solar Power [Doppel-Review]

Review:

„Solar Power“ ist ein untypisches Album für Lorde. Doch was erwartet uns auf dem neuen Album der Neuseeländerin? Alina und Jonas besprechen das Album ausführlich aus zwei Perspektiven.

Alina sieht das so:

Von der „Queen Bee“ zum „Writer in The Dark“, bis hin zum „Girl, Who’s Seen It All“. Kaum jemand hat in den vergangenen Jahren die Pop-Welt so eindrucksvoll geprägt wie Lorde. Mit gerade einmal 16 Jahren veröffentlichte die Neuseeländerin 2012 ihre Singles „Tennis Court“ sowie „Royals“. Noch im selben Jahr folgte ihr grandioses Debütalbum „Pure Heroine“, welches sie zum absoluten Ausnahmetalent der Pop-Geschichte machte. Im Jahr 2017 erschien mit „Melodrama“ ihr zweites Album, welches Lordes Talent noch einmal mehr untermauerte. Vier Jahre nach dem riesen Erfolg mit „Melodrama“ veröffentlicht Lorde ihr drittes Studioalbum „Solar Power“ und weicht ab von ihrer düsteren Gedankenwelt.

Es ist nie leicht, Erwartungen zu erfüllen. Vor allem dann nicht, wenn sie so immens hoch sind wie nach Lordes Album „Melodrama“. Eine Platte voller Emotionen, düsteren Gedanken, Herzschmerz und der nötigen Portion Tragik. Nicht umsonst vielleicht eines der besten Alben des 21. Jahrhunderts. Und doch hat sich Ella Marija Lani Yelich-O’Connor dem Druck, ein zweites, besseres „Melodrama“ zu veröffentlichen, gar nicht erst ausgesetzt. Denn „Solar Power“ ist definitiv anders. Und das tut Lordes Talent keinen Abbruch. Im Gegenteil.

Auf zwölf Songs präsentiert Lorde einen facettenreichen Mix aus ruhigen Balladen, Up-Beat Nummern und perfekt kombinierten Pop-Elementen. Sie schafft sehr atmosphärische Songs, die ein rundes Gesamtbild abgeben und an keiner Stelle so etwas wie Langweile aufkommen lassen. Gewichen ist der düstere Unterton in den Songs. Waren Tracks wie „Sober“ oder „Hard Feelings“ noch getragen von einer unheimlichen Traurigkeit, lässt die Sängerin nun auf „Solar Power“ etwas mehr Fröhlichkeit zu. Geblieben ist dennoch die für sie so unverwechselbare Melancholie, gepaart mit erfrischender Modernität und Ehrlichkeit.

Bereits die Vorab-Single „Solar Power“ beweist auf eindrucksvolle Art und Weise, wie geschickt Lorde in ihre eigene Welt entführt und ganz einzigartige Elemente mit in den Song hineinbringt. Stripped down, mit für ihre Songs neuartigen Gitarrenklängen, bringt sie ihre Stimme zum Strahlen, die gleichzeitig so unverwechselbar und reflektiert daherkommt. Ausdrucksstark vermag sie es ihre Emotionen und Gefühle auf eine sehr ehrliche Weise zu transportieren. Gerade ihre Reflektiertheit und ihr Mut zur Ehrlichkeit lassen Songs, wie „Stoned At The Nail Salon“ so strahlen. Unverwechselbar gut sind ergänzend dazu die Chorstimmen bei Liedern wie „Leader Of A New Regime“, die die Harmonien noch einmal mehr unterstreichen.

Ebenso brillant kommen ihre Texte daher, die klug getextet, persönlich und empathisch sind. Es braucht bei Lorde nicht viel, dass sie einen durch ihre Texte, gepaart mit den sehr harmonierenden Melodien und ihrer Stimme in den Bann zieht. War es ihr auf „Melodrama“ noch daran gelegen, ihren Herzschmerz und die damit einhergehenden verletzten Gefühle zu verarbeiten, setzt „Solar Power“ sehr viel simpler an. Fast schon etwas spirituell verbindet Lorde Naturelemente mit der Kraft des menschlichen Daseins. Die Bindung zu sich selber sowie die eigene Verbindung zur Welt stehen im Vordergrund, geben den Liedern einen geerdeten Vibe und zeigen Lordes gedankliche Auseinandersetzung mit dem Leben auf. Gerade „Mood Ring“ grenzt sich melodisch von den anderen Tracks ab und schafft etwas sehr Spirituelles.

Dennoch weißt „Solar Power“ einige Schwachstellen auf. Diese tun sich vor allem dann auf, wenn der Hang zur Tragik überhandnimmt und der Song anfängt vor sich her zu dümpeln. So ist „The Man With The Axe“ sicherlich kein schlechter Song. Es fehlt ihm allerdings an der Ausdrucksstärke, die beispielsweise das tolle „Secrets From A Girl (Who’s Seen It All)“ mit sich bringt. Grundsätzlich ist anzumerken, dass „Solar Power“ definitiv kein Album ist, welches man mal ebenso nebenbei hören kann. Dafür sind sowohl Texte als auch Melodien viel zu facettenreich. Den Anspruch einfachen Pop-Radio-Songs zu entsprechen, hatten Lordes Songs nie, was gerade ihre Einzigartigkeit ausmacht.

„Solar Power“ ist ein wunderbar konzipiertes Album, auf dem sich Lorde unheimlich kreativ und vielschichtig ausgelebt hat. Sie ist vollkommen bei sich und ihren Emotionen, schafft es immer packend in ihre Welt zu entführen, auf eine Reise mitzunehmen und gleichzeitig einen Hauch von Mysterien zu wahren. Sie brilliert stimmlich, schafft Abwechslung und vor allem einen Wiedererkennungswert, der in der heutigen Pop-Szene kaum noch vorzufinden ist. Atmosphärisch, modern und einzigartig. „Solar Power“ muss gar nicht an „Melodrama“ herankommen, denn es ist grundsätzlich anders. Nicht besser, sanfter.

Jonas sieht das so:

Ella Marija Lani Yelich-O’Connor aka Lorde hat ein Gitarrenalbum aufgenommen. Was für andere zum Alltag gehört wie Zähneputzen, ist für die Neuseeländerin durchaus ein unerwarteter Schritt, denn bislang tummelten sich ihre Songs nur in den seltensten Fällen um Saiteninstrumente. In Interviews ging die Sängerin gar so weit zu behaupten, sie hasse Gitarren eigentlich. Diese Abneigung scheint sich nun zumindest vorübergehend in Zuneigung gewandelt zu haben.

„Solar Power“ jetzt ist homogen und organisch instrumentiert. Flotte Akustik-Arpeggios, transzendentale Fender Jaguar-Gitarren, enthusiastisch getrommelte Percussion ziehen sich durch die ein Dutzend neuen Lorde-Songs. Unterstützung bei Songwriting und Produktion bekam die 24-Jährige erneut von Bleachers-Kopf Jack Antonoff, der als Produzent und Songwriter den Sad Girls Club vorzeigefertig macht und sich in den letzten Jahren unter anderem für Platten von Taylor Swift sowie Lana Del Ray und auch für Lordes „Melodrama“ verantwortlich zeigte. „Solar Power“ wiederum klingt trotz seiner reduziert-akustischen Instrumentation immer satt und detailreich – ein kraftloses Balladen-Projekt ist das dritte Album der Musikerin deshalb nie. Zu einem gewissen Anteil liegt das auch an den gewohnt breit-aufgearbeiteten Hintergrund-Chorälen, die erstmals nicht nur von Lorde selber, sondern auch von namenhaften Kolleginnen wie Queen-of-Sad Phoebe Bridgers und Clairo eingesungen wurden.

Fernab ihrer Produktion rührt der entspannte, aber doch vielschichtige Charakter der Platte auch daher, dass Songwriting und Arrangement stets on point sind. „Fallen Fruit“ beispielsweise wandelt fernab seiner unglaublichen Vocalperformance von mystischer Akustik-Nummer zu einem psychedelischen Solo hin zu 808-Patterns und klingt in sich dennoch komplett schlüssig. An anderer Stelle – „Secrets From A Girl (Who’s Seen It All)“ und „Dominoes“ – erlauben die Songs gar ausufernd-ungelenkige Tanzeinlagen und euphorisches Kopf-Nicken.

Ähnliches gilt auch für den einladenden Überhit „Mood Ring“, der mit seinen Wellness-Sekten-Vibes nah an der übergeordneten Natur-Thematik des Albums liegt. Die wiederum leitet ganz zu Beginn der monumentale „The Path“ ein. Dort heißt es: „‘Cause we are all broken and sad, where are the dreams that we had, can’t find the dreams that we had; Let’s hope the sun will show us the path.“ Die Besinnung auf die Natur trägt für Lorde also eine Art Heilkraft in sich. Dieses Narrativ – die warmherzigen Seiten der nicht-menschlichen Umwelt als Bringer besserer Zeiten – stellt auch der spirituelle Titeltrack voran. Dass die Videos und einzelne Textfragmente immer wieder auch auf Ästhetiken setzen, die eng mit den Lebensrealitäten einer Sekte assoziiert werden, ist indes zwar befremdlich, macht aus der Welt von „Solar Power“ jedoch eine ganz eigene.

Wenn die „teen millionaire having nightmares from the camera flash“ („The Path“) die Natur-Lobpreisungen mit Anekdoten und Ängsten aus ihrem eigenen Leben kontrastiert, dann wird Lorde zwischendurch aber doch auch privat. Zu Beginn des letzten Albumdrittels wird das zudem auch direkter traurig und schwer, denn das träge „Big Star“ hält Pearl, den erst 2019 verstorbenen Retriever-Mischling der Sängerin, in Erinnerung. Es ist mehr als offensichtlich: „Solar Power“ ist größer und ambitionierter als seine Reduzierung auf Gitarrenarrangements zunächst vermuten lassen würde. Es wäre ja auch ein Jammer, wenn Lorde tatsächlich mal enttäuschen würde.

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Die Rechte für das Cover liegen bei Universal Music.

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