“Es gibt mittlerweile so viele Musicals, da weiß man ja wirklich gar nicht, was man gucken soll”. Solche Sätze bekommt man häufiger zu hören, wenn man sich in der beliebtesten Musiktheater-Gattung ein wenig auskennt. “Was kannst du denn empfehlen?”. Schwer zu beantworten, ist das Angebot einfach so wahnsinnig vielfältig, dass es am Ende auch ein bisschen Geschmacksache ist, was man nun bevorzugt. Was allerdings häufig eher arg mittelmäßig ausfällt, sind Musical-Galas. Abende, an denen mal bekannte, mal ziemlich unbekannte Darsteller*innen einen bunten Mix aus den beliebtesten Shows aller Zeiten singen. Gleichzeitig ziehen einige dieser Events jedoch ein so üppiges Publikum an, weil sie eben so wahnsinnig vielversprechend klingen – am Ende geht’s nicht selten unbefriedigt nach Hause. Es sei denn, die Veranstaltung heißt Musical Revolution und alles ist anders.
Ein Konzept, das 2019 das Licht der Welt erblickte. Eine Musical-Gala – so weit, so üblich. Jedoch eine, die sich nicht an die breite Masse wendet und die eher nicht von Leuten besucht werden sollte, die von Musical nur so viel Check haben, dass sie vielleicht gerade noch wissen, welches Hamburg-Musical an der nächsten Litfaßsäule beworben wird. Musical Revolution ist eine Gala für Insider*innen. Eine Gala für diejenigen, die alles andere durchhaben. Eine Gala, bei der einerseits ein paar sehr große und ein paar mittelgroße Darsteller*innen zusammenkommen. Eine Gala, bei der jedoch andererseits das Programm der ganz entscheidende Faktor ist.
Wer Musical wirklich liebt, kommt um den Broadway in New York und den West End in London nicht drumherum. Ok, Hamburg macht das schon ganz gut, in Ordnung. Wien auch. Aber New York und London sind nicht nur wahre Schlaraffenländer, bieten sie permanent eine hohe Auswahl, sondern sind zudem auch eine Spielwiese. Alles kommt auf die Bühne – man fragt sich eben nur, wie lange, denn manches scheitert gnadenlos. Nur die richtigen Hits kommen anschließend aussortiert dann auch in unser Land – und selbst das ist kein Erfolgsgarant, wie man erst kürzlich bei “Hamilton” beobachten konnte.
Wer sich neben den Stücken aber auch für Interviews mit den Menschen interessiert, Backgroundinfos oder kurze, knackige Infos sucht, ist wohl mit großer Sicherheit schon mal bei Michel und Adrian gelandet. Die zwei sind nicht nur ein wahnsinnig liebenswertes und sich liebendes Pärchen, sondern im Game echte YouTube- und Insta-Stars. Ihr Channel “Red Curtain Show” ist tolles Entertainment. Nicht selten wird da von den frischesten internationalen Shows berichtet. Auf deren Empfehlung kann man gut und gerne hören.
Wie gut wäre es, wenn all diese Faktoren zusammenkommen? Ach, wie praktisch. Genau das passiert nämlich bei Musical Revolution. ShowSlot, die zuletzt schon mehrfach mit untypischen Stücken wie “Spongebob” , “Fack Ju Göhte” , “Rock of Ages” oder “Ghost” Fanherzen bedient haben, bieten seit 2019 “Deutschlands größtes Musical-Event”, wie sie es selbst nennen. Ein Abend, der nicht darauf aus ist, das perfekte “Mir fiel nix besseres ein”-Geschenk zu sein, sondern das “So etwas mögen nur Nerds”-Präsent ist. Richtig so! Keine halben Sachen. Wenn, dann ziehen wir durch.
Musical Revolution ist in seinem Konzept unglaublich konsequent. Wer nicht im Thema ist, bekommt so ziemlich nichts, was ihm*ihr bekannt vorkommt. Wer ein bisschen tiefer eingestiegen ist, bekommt zwei, drei vielleicht bereits gesehene Musicals und ganz viel Neues zum Entdecken. Und selbst wer von sich behauptet, alles zu kennen, sollte hier mit mindestens einer neuen Erkenntnis herausgehen, denn Michel, Adrian, die Cast, die Band sowie das Team hinter den Kulissen kramen in allen Ecken. Zum dritten Mal ist die Show in Frankfurt in der myticket Jahrhunderthalle zu sehen. 2019 war Premiere, 2022 die zweite Runde, nun die nächste. Dass es eben doch sehr speziell ist, zeigt sich leider am 13.1., einem Samstag, an dem Zuschauerraum kurz vor Start. Wir waren schon 2022 privat dabei, dieses Mal ist allerdings der Raum für gut 2700 Sitzende geschätzt nur ungefähr zur Hälfte voll. Besonders im Rang sieht es arg mau. Laut aktuellem Stand handelt es sich um das letzte Event in Frankfurt. Die Jungs von der “Red Curtain Show” wohnen seit Kurzem in Hamburg, womöglich geht’s also demnächst dort weiter.
Auch in der dritten Ausgabe ist Musical Revolutions Megawaffe die überraschende Zusammensetzung. Zählt mal selbst, wie viel ihr kennt: “Back to the Future”, “Six”, “The Time Traveller’s Wife”, “Ku’damm 56” , “Goethe!”, “Fack Ju Göhte”, “Dear Evan Hansen”, “& Juliet”, “Jagged Little Pill”, “MJ”, “The Cher Show”, “Bonnie & Clyde”, “Kimberly Akimbo”, “Shucked”, “Death Note”, “Hamilton”, “Operation Mince Meat” und “Mrs. Doubtfire”. Gerade einmal vier der insgesamt 18 Musicals liefen bisher in Deutschland, eins davon auf deutscher Sprache, bei der Gala jedoch auf Englisch. Vier weitere werden 2024 Premiere in unterschiedlichen Städten feiern, für den Rest muss man aber eben in die beiden bereits erwähnten Metropolen. Die Auswahl ist im Vergleich zum 2022-Event ähnlich kreativ. Weniger als fünf der 18 standen auch schon im letzten Programm, allerdings mit anderen Songs. Man probiert also wirklich für Abwechslung zu sorgen. 27 Nummern stehen an, darunter zwei Medleys. Ein paar Musicals sind also mit zwei Beiträgen berücksichtigt.
Welche Auswahl man nun mehr mag, ist individuell. Das Programm enttäuscht so oder so nicht, eben weil es so nischig ist. Und wer steht auf der Bühne mit Mikro in der Hand? Mit Anja Backus, Benét Monteiro, Philipp Büttner, Robin Reitsma, Alexander di Capri, Sidonie Smith, Nienke Latten und Jeannine Michèle Wacker gibt es acht Solist*innen, die man aktuell oder vor ganz kurzer Zeit in den großen Produktionen hierzulande zu Gesicht bekam. Den einen kennt man aus “Hamilton”, den anderen aus “Tarzan”, die eine aus “Tanz der Vampire”, die andere aus “Wicked”. Erweitert wird die Performance durch ein achtköpfiges Ensemble, das gesanglich wie tänzerisch unterstützt. Eine achtköpfige Band sorgt für den Instrumentalsound. Die steht auf einer drehbaren Bühne, die mit einer Showtreppe sowie einem Laufsteg versehen ist. Das gibt’s dann mal frontal, mal seitlich anzuschauen. Zusätzlich wartet natürlich eine ganze Riege von Spots auf ihre Einsätze.
Gesanglich gibt es in dem erst 70-, dann 65-minütigen Konzert mehrere Highlights. Ein Musicalstar, der gnadenlos underrated ist, ist Anja Backus, die eigentlich bei jedem ihrer Auftritte brilliert. Besonders stechen jedoch ihr Solo “Don’t Lose Your Head” aus “Six” sowie “Better” aus “Kimberly Akimbo” hervor. Letztes gewann einen Tony, wie unsere beiden Hosts anmoderieren. “No pressure!”, witzeln sie, doch Backus macht das mit so einer Treffsicherheit, dass es einen wahrlich durchbohrt. Benét Monteiro darf auch nach dem Ende von “Hamilton” nochmal in seine Paraderolle, bevor er im März die Weltpremiere von “Hercules” antreten wird, das es komischerweise mit gar keinem Song ins Programm schafft, was aber bestimmt an rechtlichen Auflagen liegt. Sein “Medley” aus dem Broadway-Über-Überhit sitzt hervorragend. Trotzdem stiehlt unter den Männern Philipp Büttner allen die Show, der bei “For Forever” aus “Dear Evan Hansen” spürbar um sein Leben singt. Technisch ist das wirklich brillant. Rührend ist auch die tolle Message in “As Long As There Is Love” aus “Mrs. Doubtfire”, die als großes Cast-Finale genau die ist, die wir gerade mehr brauchen denn je.
Wir fassen also zusammen: Teils sehr starke Solist*innen, abermals eine bombige Setlist. Doch leider fällt Musical Revolution 2024 bei allen weiteren Punkten im Vergleich zur vorigen Ausgabe etwas ab. Gab es 2022 zehn Solist*innen, sind es nun zwei weniger. Das Ensemble ist von zwölf auf acht geschrumpft. Das größte Problem jedoch: Konnte man zuvor noch von einem kleinen Orchester sprechen, wird auch bei den Instrumentalist*innen eingespart. Fast die Hälfte sind es weniger und somit nun eben nur noch eine größere Band – und das hört man. Ist der Sound sowieso einige Male nicht ganz gut abgemischt und klingt hier und da echt leer, fällt dadurch eben einer der herausragenden Punkte der Veranstaltung weg, nämlich der Klang, der einen richtig gegen die Wand drückt. Wie hervorragend klang zum Beispiel vor zwei Jahren “Seasons of Love” mit allen Beteiligten. Genau das Qualitätsmerkmal ist jetzt eben nur noch solide und nicht mehr hervorragend.
Weiteres Manko: Den Macher*innen war klar, dass es eine Fanveranstaltung ist, weswegen 2022 bei den doch recht hohen Preisen gleich eine ganze Tüte mit Merch dabei war, darunter sogar ein Download von einigen Liveaufnahmen. Der Goodie-Bag fällt 2024 gänzlich weg, lediglich ein Miniprogrammheft bekommt man in die Hand. Wenigstens ist das Meet & Greet im Anschluss geblieben, was wohlwollend von einigen wahrgenommen wird. Dass die Tickets nach Preiserhöhungen in den letzten Jahren aber gleichteuer sind, muss wahrscheinlich nicht zusätzlich erwähnt werden.
Musical Revolution 2024 schwächelt somit ganz besonders in den Hard Facts. Viel weniger Menschen auf der Bühne, weniger Gimmicks. Selbst Michel und Adrian sind zwar weiterhin gut, aber nicht ganz so gut wie beim letzten Mal. An der einen oder anderen Stelle fällt die Improvisation, auf die sie setzen, doch eben etwas zu improvisiert aus. Süß sind sie trotzdem und eröffnen sogar gesanglich den Abend mit “21st Century” aus “Back to the Future”. Die haben einfach starken Unterhaltungswert, keine Frage. Dennoch muss bei manch anderem auch gesanglich etwas genörgelt werden, so ist Alexander di Capri beim Acapella-Intro zur Zugabe “I’ll be There” aus “MJ” einfach mal komplett in der falschen Tonart, Benét Monteiro bei “Thriller” aus “MJ” orientierungslos und manche aus dem Ensemble singen nicht immer die richtigen Harmonien. Sorry.
Ja, das ist wirklich sehr detailverliebt von uns, aber Musical Revolution war zuletzt wirklich außergewöhnlich gut, wahrscheinlich gar die beste Gala, die man besuchen kann. Und das ist sie dieses Jahr vielleicht nicht. Auch wenn wir uns von ganzem Herzen wünschen, dass dieses tolle Konzept fortgeführt wird, hat man sich ein wenig zu stark darauf ausgeruht, dass alles doch schon irgendwie klappen wird. Trotz deutlich erkennbarer Spielfreude von allen – es ist wirklich ein Fest, so gute Darsteller*innen mit so viel Elan solche Songs singen zu hören – hätten ein, zwei Probentage mehr vielleicht nicht geschadet. West-End- und Broadway-Flair spürt man aber auch 2024 in Frankfurt wieder wohl so stark wie sonst nirgends.
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