Die einen lieben die klassischen Representer-Battle-Tracks unserer Deutsch-Rapper*innen, die anderen weniger. Gemessen an der Gesamtheit der Szene sind ebendiese Songs jedoch in der großen Überzahl und die, die tiefergehende Thematiken aufgreifen, stehen meist in zweiter Reihe. Wir haben mal einen Blick auf genau diese Songs mit etwas mehr Tiefe gewagt und für eine neue “Die Liste” zusammen geschmissen – viel Spaß mit unserer Auswahl!
Haftbefehl – 1999 Pt. III (2014)
Kaum ein deutscher Rapper schafft es, seinen harten und dreckigen Straßen-Lifestyle so gut mit Melancholie und präzisionsscharfer Gesellschaftskritik zu verbinden wie Haftbefehl! Seine sechsteilige „1999“-Reihe sticht dabei besonders hervor. In kurzen Schlaglichtern beschreibt der Babo darin, wie ihn eben dieses Jahr kurz vor der Jahrtausendwende durch den Selbstmord seines Vaters in tiefe Trauer, Verzweiflung und kriminelle Bahnen gelenkt hat. Vor allem im dritten Part des Sechsteilers bringt er diese tragische Wende seines Lebens auf den Punkt: „Die Straße mein Lehrer, die Schule für den Arsch, als Papa ging war sehr hart, ich verfluche diesen Tag.“ – Gänsehaut! (Lukas)
Antilopen Gang – Spring (2018)
(TW: Suizid) In „2013“ blickt die Antilopen Gang auf ein Jahr zurück, dass die Bandgeschichte geprägt hat, wie kein anderes. Die drei Rapper berichten hier offen und ehrlich, wie der Suizid ihres Freundes und Bandmitglieds NMZS (bürgerlich Jakob) sie persönlich getroffen und den weiteren Weg der Gang beeinflusst hat. Ein weiterer Song, in dem die Antilopen Gang das Thema Suizid aufgreift, ist „Spring“, der 2014 auf dem Album „Aversion“ veröffentlicht wurde. In einem Interview mit dem Splash! Magazin erzählte Danger Dan, dass die Skizze dazu bereits vor Jakobs Tod entstanden sei und durch die Ereignisse noch einmal eine andere Bedeutung angenommen habe. Der Text zu „Spring“ ist keine leichte Kost – doch gerade durch seine deutlichen Worte und die bedrückende Stimmung zählt der Song zu einem der stärksten Lieder der Antilopen Gang. (Yvonne)
Ebow – K4L (2019)
Persönliche Geschichte und Gesellschaftskritik in einem – das schafft Ebow in „K4L” nahezu perfekt. Sie wird politisch und verpackt aktuelle Diskurse in eingängigen Texten. Mit dem Song liefert die Rapperin quasi eine Hymne für sich, ihre Freunde und ihre Community – und zeigt, dass Rap eindeutig mehr kann, als zu flexen. (Emilia)
Maeckes – 1234 (2021)
“Ganz einfach: Die, die am lautesten reden, sagen nicht auch die meiste Wahrheit.” Maeckes knallt uns in der ersten Single “1234” des bevorstehenden Albums “POOL” Fakten an den Kopf, die schnell gesagt sind – doch jede von ihnen hinterlässt trotz ihrem wahren Inhalt bei längerem Nachdenken ein unwohles Gefühl. Denn die Welt ist eben nicht so einfach gestrickt wie man oft denkt und nichts lässt sich so leicht auf plakative Messages runterbrechen – eine Kritik an AFD, Verschwörungstheoretikern, etc., aber halt manchmal auch an uns selbst. Maeckes schafft es hier mal wieder, mit wenigen Worten extrem viel zu sagen – verpackt in einem einfachen, mitsingbaren Song über die Kompliziertheit bzw. eben auch das Simple aller Dinge. (Luis)
OG Keemo – 216 (2019)
Als weißer und von den negativen Auswirkung von Rassismus befreiter Mann, kann ich nur versuchen einen Bruchteil des Leids nachzuvollziehen, das von rassistischer Diskriminierung betroffene Menschen jeden Tag aufs Neue erleiden müssen. Mit „216“ hat OG Keemo einen Zugang für dieses Leid geöffnet, den ich in dieser Form noch nicht auf einem Rap-Song erlebt habe. Über einen düsteren und Unheil versprechenden Beat von Funkvater Frank rappt Keemo so detailliert über rassistische Vorurteile, Polizeigewalt und das Gefühl von Machtlosigkeit gegenüber einer weißen Mehrheitsgesellschaft, dass man meint, vom Hören einen tiefen Schlag in die Magengrube davonzutragen. Hören, verarbeiten, nochmal hören!
PS: Ebenso zu empfehlen ist die Medley-Version „Blue Lights x 216“ zusammen mit Jorja Smith und dem WDR-Funkhausorchester. (Lukas)
Casper – Flackern, Flimmern (2017)
Benjamin Griffey aka Casper verschiebt spätestens seit dem Indie-Epos „XOXO” mit jeder weiteren Veröffentlichung die Grenzen von dem, was im Volksmund als „Rap” bezeichnet werden darf und was nicht. So auch mit dem 2017er-Langspieler „Lang Lebe Der Tod”: Dort stoßen Post-Punk, Industrial und – wie hier im hymnischen „Flackern, Flimmern” – Black-Metal zum oft breiten Band-Sound des Wahl-Berliners. „Flackern, Flimmern” gibt wie so viele Casper-Songs tiefe Einblicke in das unruhige Seelenleben des 38-Jährigen und ist ganz nebenbei einer der ehrlichsten deutschsprachigen Love-Songs der letzten Jahre. Einfach stark! (Jonas)
Ansu – Bomberjacken (2020)
Ansu berappt in “Bomberjacken” die in Deutschland tagtäglich erlebte Polizeigewalt und den Rassismus, der dahinter steckt und liefert damit eine Hymne zur Black Lives Matter-Bewegung, die durch den Tod von George Floyd im vergangenen Jahr ein neues Level an Aufmerksamkeit erlangen konnte. Hier gibt’s nicht nur den Blick von außen auf das Geschehen, sondern die knallharte Realität Ansus aus erster Hand zu hören. “Schon wieder Kontrolle durch die Polizei. Na klar hab ich nichts dabei. Verhalte mich nicht mal ein bisschen verdächtig. Egal, die Hautfarbe reicht.” (Luis)
KeKe – Wolfau (2019)
Audio88 – Cottbus (2021)
Dass Audio88 & Yassin sich klar gegen rechts positionieren, sollte außer Frage stehen. Immer wieder wurden AFD, NPD und Co neben schmutzigen Whack-Rappern auf ihren Songs zu Opfern wütender Punchline-Gewitter. So emotional und greifbar wie auf „Cottbus“ positionierten sie sich jedoch noch nie. Obwohl ‚sie‘ eigentlich falsch ist, ist „Cottbus“ doch ein Audio88 Solo-Track. Mit Hilfe von präzisen Einblicken in seinen Alltag als Jugendlicher in der ostdeutschen Stadt Cottbus, führt er uns an seine persönlichen Erfahrungen mit Rechtsextremismus heran. Wie fühlt man sich, wenn die Klassenlehrerin über die Hakenkreuz-Aufnäher des Mitschülers lacht? Was verspürt man, wenn die Polizei rechtsextreme Anschläge auf das eigene Jugendzentrum rechtfertigt? Wie verändern diese Erfahrungen einen nachhaltig? Audio88 erzählt es uns. (Lukas)
Haiyti – Audrey (2020)
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