Interview mit Madeline Juno über ihr sechstes Album „Nur zu Besuch“

Madeline Juno

Im Januar hat Madeline Juno ihr sechstes Studioalbum „Nur zu Besuch“ veröffentlicht und damit ein neues Kapitel aufgeschlagen, in dem sie sich vor allem mit den Herausforderungen des Erwachsenwerdens, Selbstakzeptanz und Selbstreflexion beschäftigt. Anlässlich ihrer „Tour zu Besuch“ hat die Singer-Songwriterin dreizehn Shows in Deutschland gespielt. Vor ihrem Auftritt im Gloria Theater Köln haben wir uns mit der Sängerin getroffen und über das neue Album, über ihren Karriereweg und über die Rolle von Frauen in der Musikindustrie gesprochen.  

minutenmusik: Hey Maddie. Du hast mit „Nur zu Besuch“ mittlerweile dein sechstes Studioalbum veröffentlicht. Was würdest du sagen, unterscheidet das neue Album zu dem Vorgänger „Besser kann ich es nicht erklären“?

Madeline Juno: Jedes Album ist immer wie eine Zeitkapsel aus meinem Leben und „Nur zu Besuch“ ist quasi das neueste Update. Das Album handelt von meinen Zwanzigern, Familie, Privatleben und den Hürden des Lebens. Vom Erwachsensein, sich aber gar nicht zu tausend Prozent erwachsen fühlen oder der Tatsache, dass man sich das Mitte-Zwanzig-sein eigentlich ganz anders vorgestellt hat, als es ist. Ich hoffe, dass die Texte auf „Nur zu Besuch“ noch besser sind. Ich hoffe, dass ich mich mit jedem Album ein Stück weit verbessern und jedes Mal mehr von mir reinpacken kann. Es ist schön, wenn ich die Leute mit auf eine Reise nehmen kann und Geschichten auspacke, die sie vielleicht noch nicht kennen oder so nicht haben kommen sehen. Von der Herangehensweise ist das im Prinzip jetzt nichts anderes als bei den anderen Alben, aber dieses Album ist zumindest aktuell das, was mir am nächsten ist.

minutenmusik: Wie hast du den Songwriting-Prozess erlebt?

Madeline Juno: Teils sehr schwierig und teils super einfach. Bei jedem Song und bei jedem Album ist überhaupt nicht vorherzusehen, welche Songs sich einfach oder schwer schreiben lassen. Manche Themen auf dem Album waren natürlich ordentlich schwierig. Die größte Schwierigkeit war, die Songs aufs Papier zu bringen und zu entscheiden, was die beste Wortwahl für das bestimmte Thema ist und ob ich damit emphatisch oder verantwortungsbewusst mit umgehe. An sich war der Songwriting-Prozess aber wie immer ultra spaßig. Ich schreibe die Songs immer mit Joschka, meinem Gitarristen und Produzenten und mit Blinki, meinem zweiten Gitarristen, gemeinsam. Wir schreiben eigentlich alles zu dritt und es ist einfach super schön. Wir fahren meistens eine Woche raus aus Berlin; bekommen da den Kopf frei, gehen spazieren, haben einen Kamin oder eine Sauna, kochen zusammen – und dabei entstehen Songs.

minutenmusik: Warum hast du dich für den Albumtitel „Nur zu Besuch“ entschieden?

Madeline Juno: Der gleichnamige Song ist ja auf seine Art und Weise super traurig und heavy. Ich persönlich empfinde ihn aber gar nicht als zu traurig. Ich versuche bei meinen Alben immer zu überlegen, was das Dach und der gemeinsame Nenner dazu sind, welches Bild gut zu dem Album passt. Ich fand, dass es ein paar Wege öffnet, wenn das Album „Nur zu Besuch“ heißt: Man könnte zum einen meinen, nur zu Besuch bedeutet, nur hier auf dieser Erde zu sein, oder nur zu Besuch in diesem Leben, das wir haben. Nur zu Besuch kann aber auch bedeuten, man ist zu Besuch bei mir, mit diesen Songs in meinem Herzen oder in meinem Kopf. Das hat wirklich so diesen häuslichen Aspekt und ich fand das total toll. Es ist der perfekte Albumtitel: Egal, was für Themen stattfinden, das ist ein gutes Dach und ein gutes Haus, um zu sagen, da darf all das passieren und man ist zu Besuch im sechsten Album und auf dieser Tour, die „Tour zu Besuch“ heißt. Das finde ich auch superschön und passend.

minutenmusik: Welcher ist dein Lieblingssong auf dem Album?

Madeline Juno: Ich mag den Song „Mitte Zwanzig“ sehr gerne. Der bedeutet mir sehr viel. „Murphys Law“ ist auch einer meiner Lieblingssongs, weil er so anders ist als die anderen. Es geht darin um meine Depression und meinen Kopf, trotzdem hat er aber einen kleinen humoristischen Aspekt, einen kleinen Twist und ist ein bisschen mit Humor und Witz geschrieben. Das mag ich sehr. „Sad Girl Shit“ ist für mich genauso lustig geschrieben, obwohl es mein Leben in a Nutshell ist. Trotzdem finde ich schön, dass es mit Witz geschrieben ist.

minutenmusik: Wie war es für dich, die Songs auf der Tour erstmals live zu spielen?

Madeline Juno: Hammer. Die Leute sind so sweet, die singen mit, die sind laut und einfach am Start. Das haucht dem noch mal viel mehr Leben ein. Wir spielen einige Songs auch beim Soundcheck, aber es passiert am meisten etwas mit den Liedern, wenn die Leute da sind. Das ist so krass, wenn tausend Menschen die Songs lauthals mitsingen. Das ist richtig schön!

minutenmusik: Was waren für dich die bisher schönsten Momente auf der „Tour zu Besuch“?

Madeline Juno: Ich finde es total schön zu sehen, was für eine liebe Community ich habe. Es ist natürlich unschön, wenn Leute während der Show umkippen, aber die Menschen sind so enorm hilfsbereit. Die geben direkt Bescheid und reichen Wasser und Traubenzucker herum. Die passen wirklich gut aufeinander auf und das sind für mich so unerwartet schöne Momente. Generell liebe ich einfach, wenn wir alle gemeinsam singen und quatschen können. Ich könnte das einfach das ganze Jahr lang machen. Auf dieser Tour gab es zudem so kleine Milestone-Momente. In einigen Hallen durften wir erstmals nicht mehr in den kleinen Räumen, sondern in den großen Räumen spielen. Im FZW in Dortmund beispielsweise und in der Großen Freiheit in Hamburg. Heute ist für mich tatsächlich auch ein kleines Highlight, weil ich immer im Gloria in Köln spielen wollte und endlich passiert es. Da herrscht voll das Heimspielgefühl: Danny, unser Soundmann, hat hier ganz lange gearbeitet und kommt auch aus Köln. Joschka, unser Gitarrist, ist auch aus Köln. Berlin ist eh ein Highlight an sich, das ist der Tourabschluss. Das ist auch eine ganz tolle Venue, das Huxley‘s, wo ich ganz viele Konzerte gesehen habe und jetzt selbst dort spielen darf.

minutenmusik: Gibt es einen Song, den du live besonders gerne spielst?

Madeline Juno: Tatsächlich liebe ich am meisten ältere Songs, denen wir auf der Tour ein neues Gerüst verpasst haben. Songs wie „Grund genug“ oder „Schatten ohne Licht“ haben wir neu arrangiert und die machen so ultra viel Spaß. „Waldbrand“ spielen wir auch in neuem Gewand. Das ist mein erstes deutschsprachiges Lied gewesen. Von dem neuen Album liebe ich live am meisten den Song „Was zu verlieren“. Der macht riesig Spaß.

minutenmusik: Bei unserem letzten Interview im Jahr 2022 hast du erwähnt, dass du deine eigenen Songs oftmals nach einer gewissen Zeit nicht mehr hören kannst. Wie sieht das bei deinen beiden aktuellsten Alben aus? Kannst du die mittlerweile auch nicht mehr hören?

Madeline Juno: Nee, tatsächlich cringe ich bei den beiden Alben nicht. Ich weiß natürlich, dass „Besser kann ich es nicht erklären“ mittlerweile ein paar Jahre alt ist, 2022 ist das erschienen, und seitdem ist schon viel passiert. Aber ich kann die Songs trotzdem immer noch für das wertschätzen, was sie waren und wie ich zu diesem Zeitpunkt war, wo ich gerade in meinem Leben stand und wie es mir ging. Das müsste ich theoretisch über all die alten Sachen sagen können. Aber bei den ganz alten Songs fällt es mir doch schwer, die zu hören und nicht zu denken „Mann, das würde ich heute anders machen.“ Eigentlich gehört dazu, dass man sagt, sie sind nun mal so wie sie sind – und das ist auch so, aber ich würde mir jetzt nicht meine sieben Jahre alten Songs geben, weil ich sie immer noch geil finde. Ich bin immer noch stolz auf die Songs, aber ich würde sie wahrscheinlich heute anders produzieren. Bei „Nur zu Besuch“ und „Besser kann ich es nicht erklären“ ist es immer noch sehr aktuell, ich würde da wahrscheinlich nichts anders machen wollen.

minutenmusik: Du hast in der Vergangenheit schon immer gerne Songs mit doppeltem Boden geschrieben. Gibt es davon auch welche auf dem neuen Album?

Madeline Juno: Ja, auf jeden Fall. Wenn man so will, ist „Murphys Law“ beispielsweise einer. Vermeintlich kann der Song so ausgelegt werden, dass es um eine toxische Beziehung geht, oder um eine toxische Person, die einem nicht guttut. Man ackert sich dumm und dämlich, aber es reicht nicht. Man selbst genügt nicht. Dabei ist „Murphys Law“ eigentlich einfach nur ein Song von mir an mich selbst. „Lawine“ ist auch solch ein Song. Darin geht es eigentlich gar nicht um eine romantische Beziehung. Eigentlich ist das ein Song über eine Businessbeziehung, die nicht so einfach zu handeln war.

minutenmusik: Als wir das letzte Mal gesprochen haben, kam auch das Thema Features auf und du meintest, dass du oftmals Angst hast, Leute für Features anzusprechen. Mittlerweile scheint das aber gar nicht mehr so zu sein, oder? Du hast ja unheimlich viele Features in den vergangenen Monaten veröffentlicht.

Madeline Juno: Ich glaube, ich musste mich ein bisschen von der Angst verabschieden. Dieser klassische Spruch „Mehr als nein sagen können sie nicht“ ist halt in so einem Fall total wahr. Woher sollen die Leute wissen, dass du auf irgendwas Bock hast, wenn du sie nicht fragst? Generell kamen auch Leute auf mich zu und ich habe mal „Ja“ sagen müssen. Früher habe ich oft abgelehnt, weil ich immer dachte, das interferiert zu sehr mit meiner Kunst und meiner Vision. Und dann kann ich vielleicht nicht ich sein in diesem Feature. Jetzt sind da aber ganz viele Songs herausgekommen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass ich es machen würde, und die Leute haben es krass gut angenommen. Man muss es sich trauen, einfach mal probieren und sich öffnen.

minutenmusik: Sind in Zukunft noch weitere Features geplant?

Madeline Juno: Es ist gerade ein bisschen was in der Pipeline. Wir sind aktuell schon ziemlich weit im Writing-Prozess des nächsten Albums und da ist auf jeden Fall einiges geplant.

minutenmusik: Das heißt, das nächste Album ist schon fast fertig?

Madeline Juno: Ja, wir haben schon sehr viele Songs geschrieben. Und ich glaube, dass es sehr schwierig wird, am Ende zu entscheiden, welche zwölf Songs es werden sollen. Normalerweise schreibe ich nicht mehr Songs als auf ein Album sollen, weil ich es immer traurig finde, wenn dann was übrige bleibt und auf irgendeiner Festplatte stirbt. Daher wird es entweder ein 18-Track-Album oder vielleicht dann doch nur 14 oder 12 Songs.

minutenmusik: Es ist mittlerweile schon zehn Jahre her, dass du deine erste Tour gespielt hast und dass dein Debütalbum „The Unknown“ herausgekommen ist. Wie blickst du auf die Zeit zurück?

Madeline Juno: Ja, das ist unglaublich. Ich bin krass dankbar dafür. Ich habe ein riesiges Privileg gehabt und das war tatsächlich, dass ich so jung war und so jung starten durfte. Das war nicht immer einfach und auch nicht immer von allen Aspekten uns aus allen Blickwinkeln richtig. Wenn ich heute darauf zurückblicke, denke ich, dass vieles zu früh passiert ist, mit zu viel Druck und zu viel künstlichem Dampf dahinter. Ich habe mit 17 bei Universal Music unterschrieben. Da waren so viele Augen auf so einen jungen Menschen gerichtet. Ich glaube, ich würde das heute keinem so jungen Menschen empfehlen. Bei mir ist es aber nun mal so gewesen und mir hat es extrem viel sehr früh beigebracht. Das möchte ich gleichzeitig auch nicht missen. Es gab in den vergangenen zehn Jahren oft Momente, in denen ich mich gefragt habe, wie mein Leben wohl gelaufen wäre, wenn ich vielleicht erst mit 18 entdeckt worden wäre. Vielleicht hätte ich dann was studiert, vielleicht hätte ich dann Musik so gar nicht für möglich gehalten. Ich war 13, als bei mir alles anfing und kenne es gar nicht anders. Ich kann mich viel weniger an ein Leben ohne professionelle Musik erinnern als an das mit. Und ja, manchmal bedeutet das für mich aber trotzdem, in der Jugend nicht so viel erlebt zu haben. Mittlerweile denke ich aber: Ich war halt zielstrebig und ehrgeizig. Ich habe viele Dinge nicht gemacht, die meine Altersgenossen gemacht haben, weil ich hart arbeiten wollte. Ich stand immer hinter allem, was ich gemacht habe und es ist alles gut so, wie es war.

minutenmusik: Wie wirr sich solch eine Lebensphase anfühlen kann, verarbeitest du auch im Song „Mitte Zwanzig“.

Madeline Juno: Ja, ich habe das Gefühl, je mehr ich mit anderen Menschen über diesen Song spreche, desto mehr erfahre ich, dass das auch in zwanzig Jahren nicht anders sein wird. Du machst ja immer jede Lebensphase zum ersten Mal durch und da ist es egal, ob du Mitte 20 oder Mitte 30 bist. Du hast jede Lebensphase zum ersten Mal und es kommen immer Sachen auf dich zu, die du noch nie erlebt hast. Und das dann zu navigieren, ist auch vielleicht in 30 Jahren noch schwierig. Was auch immer dann in 30 Jahren los ist. Wer weiß.

minutenmusik: Wir haben vergangenes Mal auch über Frauen in der Musikindustrie gesprochen. Fühlst du dich in der Industrie wahrgenommen?

Madeline Juno: Ja und ich bin echt dankbar dafür. Es gibt natürlich Situationen, die mich wütend machen – ich glaube, da ist es sehr einfach, bitter zu werden. Viele viele Dinge in der Unterhaltungsbranche und in der Musikindustrie sind unfair und werden von Leuten entschieden, die keine Ahnung haben. Die wollen dich auch nicht hören. Selbst, wenn Frauen sich zusammenschließen würden, dann würde schnell gesagt werden, wir stellen uns jetzt gegen die Männer oder wollen jemand anderem was wegnehmen. Dabei wollen wir nur gesehen werden. Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich eine Community habe, die mich sieht und mich hört. Mir geht es gut, ich kann auf Tour gehen, ich kann meine Leute fair bezahlen und schaffe ein Umfeld, das positiv und gesund ist. Eben weil ich genug Leute habe, die kommen. Ich bin normalerweise nicht im Fernsehen präsent oder laufe im Radio und trotzdem sind die Leute da. Und für mich persönlich reicht das. Ich habe für mich erkannt, dass es nichts bringt, irgendwas erzwingen zu wollen. Das passiert eh nicht. Manche Türen öffnen sich einfach nicht. Und da ist es eher gesünder, einfach zu schauen, welche Türen schon offen sind und da gehe ich dann durch.

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