Pink und der CSD – das scheint gut zu matchen. Zum zweiten Mal in Folge ist der Besuch Kölns der mittlerweile 43-jährigen Künstlerin an exakt demselben Wochenende wie das größte queere Straßenfest Deutschlands. Aber irgendwie für viele auch ganz passend, gibt es somit Grund genug, vor Ort zu nächtigen und einfach beide Highlights mitzunehmen.
Denn thematisch gibt es hier doch so einige Überschneidungen. Das Publikum bei der immer sympathischen, extrovertierten, vorlauten, meinungsstarken Musikerin zeigt seit Beginn an bunte Persönlichkeiten auf. Pink selbst bindet ebenfalls schon früh Symbole abseits der Hetero-Cis-Norm ein, und das auch schon weit bevor es Begriffe wie “Pink Washing” gab (oh, unbeabsichtigtes Wortspiel). Auch auf ihrer Tour in 2023, die sich Summer Carnival nennt, sind alle Farben, die der Regenbogen hergibt, zu finden.
Und die scheint für sehr viele ein unverhandelbares Muss zu sein. Da ist das aktuelle Album “Trustfall” noch längst nicht erschienen, sind die Konzerttickets bereits mit Magnet am Kühlschrank befestigt. Man weiß eben, dass eine Show von ihr eine sichere Bank ist. Da geht es vordergründig nicht um neue Songs, da geht es um ein Spektakel, das viele durchschlagende Hits beinhaltet, von denen sich in den 23 Jahren, die man Pink schon in den Charts antreffen kann, einige angehäuft haben. Der Großteil läuft am Samstag, dem 8.7., oder am Sonntag, dem 9.7., nicht zum ersten Mal mit einer Karte, auf der die vier Buchstaben stehen, in der Hand zu einer der großen Hallen. Oder seit einigen Runden eher Stadien. 82.000 sind es insgesamt, die nach vier Jahren wieder in Köln mit dabei sein wollen. Ursprünglich waren für Deutschland vier Konzerte angesetzt, nun sind es aufgrund der Nachfrage doch sieben. Zwei davon im RheinEnergieStadion, dem Wohnzimmer des 1. FC Köln.
Um Pink zu sehen, benötigt es aber einige Reserven. Zum Beispiel Wasserreserven im Körper. Die verbraucht man nämlich sogar auf den Sitzplätzen, ohne sich zu bewegen, so heiß ist es. Das Thermometer zeigt eine Drei vorne. Aber auch Zeit ist ein wichtiges Utensil, so beginnt der Einlass schon um 16:30 Uhr, die Amerikanerin jedoch erst exakt vier Stunden später. Dazwischen gibt es mehrfach einen völlig wilden, aber auch witzigen und mitreißenden Genre-Mix von DJ KidCutUp, der einfach alles in den Soundmixer wirft und mit seinem Sprung durch die letzten 40 Jahre gut fährt. Ihn gab es übrigens auch schon bei den Gigs 2019.
Ebenso die zwei Support Acts, die man neben Kölsch, Bratwurst und Sonnencreme vorab bekommt. Gayle hat mit ihrer ersten großen Single auf einem Majorlabel “Abcdefu” richtig abgerissen und auch hierzulande Dreifachgold kassiert. Die 19-jährige aus Dallas, die optisch und auch in der Attitüde stark an Kelly Osbourne erinnert, ist zum Glück aber gesanglich besser als ihre Doppelgängerin. Für ihr Alter ist die junge Künstlerin äußerst quirlig, outgoing und wirkt wenig nervös. Da entschuldigt man auch gern das manchmal überambitionierte und anstrengende Kreischen, das sie stilistisch in den 30-minütigen Songblock einbaut. Ob noch ein weiterer Überhit folgt, sieht man dann. Zuletzt gibt es noch 50 Minuten lang The Script, die selbst schon mehrfach Headlinershows in Deutschland gespielt haben, zuletzt erst im vergangenen Herbst. Eine wirklich namhafte Band für einen Support. Sind dementsprechend routiniert, aber auch anscheinend schon etwas abgenutzt, so sind gleich mehrere Songs tiefer transponiert als im Original.
Um halb 9 wird es dann auf der dem Tourmotto entsprechenden beachig dekorierten Bühne wesentlich wuseliger. Fünf Bandmember, drei Backgroundsängerinnen, 10 Tänzer*innen, darunter vier mit akrobatischem Schwerpunkt. Und Pink. Die kommt aber stilecht, wie man es kennt, nicht auf Füßen, sondern fällt von der Decke. Der Rahmen der Stage beinhaltet oben mittig einen ihr angelehnten Mund. Dieser öffnet sich, sie wird erkennbar, und zack, fällt sie an Bungeeseilen gen Boden. Eben jene Art von Opening, das man liebt, weil es vor Energie strotzt.
115 Minuten lang sieht man ihr zu, wie sie viel erzählt, viele Fangeschenke aufsammelt, für einen Fan sogar ein gewünschtes Tattoo auf ein Plakat malt, viel lacht und manchmal sogar vergisst, dass eigentlich noch Singen auf der Agenda steht, wie sie selbst scherzt. Besonders die erste halbe Stunde ist stark und mitreißend. “Get The Party Started” als Eröffnung, im Anschluss “Raise Your Glass”, “Just Like A Pill”, “Who Knew”, “Try”, “What About Us”. Titel, die doch über lange Zeit freiwillig wie unfreiwillig begleiten und dadurch auf jeden Fall Erinnerungen auslösen können. Sucht man nach Liedern, die fehlen, fallen einem wenn nur “Family Portrait”, “Sober”, “Funhouse”, “U + Ur Hand” oder “Don’t Let Me Get Me” ein. Aber es sind einfach auch viel zu viele mittlerweile.
Bei dem Albumtrack “Turbulence” von der aktuellen LP geht es für sie und einen ihrer Tänzer auf dem Steg in die Luft und es werden mutige, ungesicherte Figuren an hängenden Tüchern gezeigt. Daumen drücken, denn wie Helene Fischer ja erst kürzlich bewies, geht sowas nicht immer gut, hier aber glücklicherweise schon. Neben dem Element Luft gibt es bei “Just Like Fire” feurige Fontänen und zwischendrin immer wieder kleine Raketen, die hinter dem Stadion zum Himmel sausen. Am Ende ist es gar ein richtiges Feuerwerk. Dazwischen gibt es jedoch für ein Pink-Konzert vergleichsweise viele ruhige Momente. “Kids in Love” und “When I Get There” werden an der Gitarre begleitet. Das passt zum zweiten Titel natürlich auch besonders gut, ist es eben ihrem vor zwei Jahren verstorbenen Vater gewidmet. Bei “I Am Here”, von dem Longplayer “Beautiful Trauma”, kommen Country-Vibes auf. Das Stadion klatscht gutgelaunt mit.
Ein besonders prägnanter Moment entsteht allerdings am Klavier. Sie erzählt, dass es einige Songs gibt, die sie gern selbstgeschrieben hätte. Darunter auch “Du hast” von einer nicht ganz unbekannten deutschen Rockband, die zuletzt arg scharf in der Kritik stand. Milde ausgedrückt. Schon kurze Augenblicke vorher empfiehlt Pink der Crowd, mal zu einem Konzert jener Band zu gehen. Die Reaktionen: nahezu keine. Sie schaut irritiert, war das doch jahrelang ein absoluter Erfolgsgarant. “Sind sie gecancelt?”. Joa, kann man so sagen. Nach ein paar Zurufen reagiert sie etwas irritiert mit “Ok, dann mögen wir sie jetzt alle gemeinsam nicht”. Einige Stunden nach der Show äußert sie sich bei Twitter, sagt, dass sie vorab von der Debatte nichts mitbekam. Das ist auf jeden Fall menschlich, cool und wirkt authentisch. Zum Glück hat sie auch statt “Du hast” “Make You Feel My Love” von Bob Dylan als Pianosolo vorbereitet. Ist eh die bessere Wahl.
Höhepunkte in luftiger Höhe, Höhepunkte in den Effekten, aber auch Höhepunkte im Gesang. Besonders bei “Please Don’t Leave Me”, wenn sie mit ihren Backgroundsängerinnen A-capella startet, was wirklich sehr gut klingt. Natürlich sind dann die Vocals beim Finale “So What”, bei dem sie durch das gesamte Stadion fliegt, nicht immer on point und nicht immer voller Stabilität, aber wenigstens live. Wenn sie nicht, dann entweder ihre drei Ladies oder auch einfach mal nur kurz Instrumental. Inszenatorisch muss des Weiteren “Trustfall” erwähnt werden, zu dem sich vier ihrer Mitwirkenden von einem meterhohen Turm auf Trampoline fallen lassen, um mit immer wechselnden Figuren wieder auf den Turm zurückzukehren. Sieht so leicht aus, aber nein, das machen wir nicht nach.
Ganz viel Lob. Und ja, Pink ist – wie schon erwähnt – einfach eine sehr sichere Bank für eine unterhaltsame Show, die auch im alles überragenden Konzertjahr 2023 gut mithält. Aber das ist der Punkt: Sie hält gut mit, sie ist nicht mehr das alles überragende, mitreißende Extravaganza-Sahnehäubchen. Wer Pink schon mal live gesehen hat, weiß was kommt. Genau das kommt dann auch, aber leider eben nur das. Schon Mitte der 2000er hat sich die Sängerin einen Namen damit gemacht, statt auf Choreos mit Tanz lieber auf Akrobatik zu setzen. Davon gab es dieses mal lediglich drei Nummern und somit wesentlich weniger als früher. Wer 2019 in Köln dabei war, hat eine in großen Teilen recht identisch aufgebaute Show gesehen. Selbst die Setlist ähnelt sich doch recht stark, ganz besonders im Opening und in dem Standard gewordenen Überflug am Ende mit “So What”. Ja, das zieht auch beim 10. Mal gucken, aber es überrascht nicht mehr. Es ist ein wenig zu Nummer sicher. Erstmalig gibt es in einem Block sogar durch eine Aneinanderreihung von drei bis vier neueren Titeln, die nicht so richtig mitreißen und ein wenig wie Füller wirken, einen Hänger. Die Tatsache, dass man eine ähnlich ausgearbeitete Show von dem Superstar bereits 2009 zu “Funhouse”-Zeiten sehen konnte, aber nur ein Drittel bezahlen musste, ist natürlich unter anderem der Inflation geschuldet, macht aber auch einen ganz schönen Nebengeschmack.
Es ist Nörgeln auf sauhohem Niveau, absolut. Aber man kann nicht immer nur alles gnadenlos abfeiern. Deswegen ist Pink 2023 im Kölner Stadion für diejenigen, die erstmalig dabei sind, wohl ein außergewöhnlich tolles Spektakel – für die, die aber wissen, was sie bekommen, ist es ein gutes Konzert, das man so oder so ähnlich nochmal sehen will, sonst wäre man nicht wiedergekommen. Aber bestimmt kann man in zwei oder drei Dingen noch etwas variieren, um bei der nächsten Tour wieder für offene Münder zu sorgen. Und wenn die schon einmal offen sind, können sie auch direkt mitsingen.
Und so hört sich das an:
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Bild von Christopher
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Sehr schön geschriebene Review!
Ich selbst war nicht da, habe aber mehrmals gelesen, dass sie eine tolle Show abliefert. Dazu auch sehr starke Vorbands.
Diesen Spruch, dass sie selbst gerne “du hast” geschrieben hätte, hat sie in Wien auch schon gebracht… kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass sie danach nicht informiert wurde und das Thema an ihr vorbeiging. Ich glaube, dass sie damit in die Schlagzeilen wollte. Objektiv gesehen hat sie ja recht, Rammstein liefert eine krasse Show.
Seit Wochen bin ich hin- und hergerissen, ob ich mir mal ein Rammstein Konzert anschauen soll. Show-technisch absolute Weltklasse, moralisch schwierig. Was würdest du jemanden raten?
Hi Adam,
vielen Dank für deine Rückmeldung und dein Kompliment, das freut mich sehr!
Dass der Spruch in Wien auch gefallen sein, habe ich auch gelesen.
Warum es nicht da dann schon zu einer Art Aufklärung kam, weiß ich aber natürlich nicht.
Auf mich wirkte die Reaktion in Köln recht authentisch.
Zu Rammstein: Ich war selbst über 20 Jahre Fan, habe auch 2019 ein Konzert besucht.
Mein Eindruck damals war, dass es sich auf jeden Fall um eine beeindruckende Show handelt,
allerdings gibt es eben “nur” krasse Feuereffekte.
Das ist zwar geil und erschütternd, mir persönlich aber dann doch etwas zu einseitig.
Ich finde somit die Shows etwas überbewertet, weil es mich musikalisch live nicht so stark beeindruckt.
Da mochte ich das Sounderlebnis von den Studioversionen oft mehr.
Wenn du mich nun aber fragst, ob du heute zu einem Konzert gehen solltest,
wäre meine Antwort eindeutig und ohne jegliche Einschränkung ein klares Nein.
Solange nicht hinreichend geklärt ist, was da los ist, sollte man um Rammstein einen verdammt großen Bogen machen.
Falls sich herausstellt, dass alle Beteiligten unschuldig sind – was aber ja sehr unwahrscheinlich ist – kann man immer noch zu einer der nächsten Tourneen gehen.
VLG Christopher